BFG-Newsletter 2022/03

Familienbeihilfeanspruch der Gattin eines Auslandsbeamten

  • § 26 Abs. 3 BAO, § 11 Abs. 6 OeADG, OeAD-Gesetz, § 53 Abs. 5 FLAG 1967, § 5 Abs. 3 FLAG 1967, § 2 Abs. 1 FLAG 1967, § 26 FLAG 1967, § 33 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 31.05.2022, RV/7100242/2022 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Gemäß § 11 Abs. 6 OeADG ist die OeAD-GmbH abgabenrechtlich wie eine Körperschaft öffentlichen Rechtes zu behandeln.

Rechtssatz 2: Für den Bereich der Familienbeihilfe hat § 26 Abs. 3 BAO i. V. m. § 53 Abs. 5 FLAG 1967 in der für den Beschwerdezeitraum anzuwendenden Fassung zur Folge, dass für Auslandsbeamte (und deren Familie) eine Sonderregelung galt, nach der unabhängig von deren Dienstort (auch in Drittstaaten) die österreichische Familienbeihilfe zuerkannt wird, ohne dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bzw. den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet nachweisen müssen. In einem Drittstaat ständig aufhältige Kinder sind nach der dort aufgestellten Fiktion als rechtlich in Österreich ständig aufhältig anzusehen.

Rechtssatz 3: Darauf, wer Partei (§ 78 BAO) im Rückforderungsverfahren nach § 26 FLAG 1967 ist, kommt es bei Anwendung des § 26 Abs. 3 BAO i. V. m. § 53 Abs. 5 FLAG 1967 nicht an.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 190

Keine Indexierung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag nach der Kaufkraft in den einzelnen Mitgliedstaaten bzw. Vertragsstaaten (Anlassfall zu EuGH C-163/20)

  • Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, Art. 258 AEUV, Art. 45 AEUV, Art. 45 Abs. 1 AEUV, § 8a FLAG 1967, § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988, Art. 267 AEUV, Art. 7 VO 883/2004, Art. 7 VO 883/2004, Art. 5 VO 883/2004, Art. 67 VO 883/2004, § 8 Abs. 3 und 4 FLAG 1967, § 33 Abs. 3 EStG 1988, Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004, Art. 67 VO 883/2004, Art. 4 VO 883/2004, Art. 3 Abs. 1 VO 1408/71, § 11 FLAG 1967, § 12 FLAG 1967, Art. 45 AEUV, § 13 Satz 2 FLAG 1967
  • BFG vom 07.07.2022, RV/7101361/2020 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschie­denen Bestimmungen des Unionsrechts volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitglied­staaten die diesen Bestimmungen zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf. Nach diesem Grundsatz ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, verpflichtet, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungs­rechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.

Rechtssatz 2: Der EuGH (EuGH 16. 6. 2022, C-328/20) hat eindeutig ausgesprochen, dass Art. 67 VO 883/2004 dahin auszulegen ist, dass die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) Erwerbs­tätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen, exakt jenen entsprechen müssen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen (Rn. 47). Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) rechtfertigen im Hinblick auf diese Bestimmung nicht, dass ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe (Rn. 47). Im Hinblick auf die Wohnsitzfiktion des Art. 67 VO 883/2004 und der Beiträge von Wanderarbeitnehmern zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats dürfen die Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) gemäß dieser Verordnung die Familienleistungen nicht nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten anpassen (Rn. 51).

Rechtssatz 3: Eine Indexierung von Sozialleistungen für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen als der Arbeitnehmer, an Hand der Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitglied­staaten (Vertragsstaaten) wäre, selbst wenn dies das Sekundärrecht zuließe, was nicht der Fall ist, nach dem Primärrecht der Union (Art. 45 AEUV) ungültig (EuGH 16. 6. 2022, C-328/20, unter Hinweis auf EuGH 15. 1. 1986, 41/84, Pinna, EU:C:1986:1).

Rechtssatz 4: Ist eine Person Unionsbürger, in Österreich selbständig oder nichtselbständig erwerbstätig und wohnt ihr Kind bzw. wohnen ihre Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat der Union sind gemäß dem Urteil EuGH 16. 6. 2022, C-328/20 § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 infolge Verdrängung durch das Unionsrecht § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 nicht anzuwenden.

Eintritt der bescheinigten Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres

  • §§ 166 f BAO, § 8 Abs. 6 FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967, § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967
  • BFG vom 21.06.2022, RV/7102850/2021 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 3: Die Bundesabgabenordnung kennt in ihren Bestimmungen über das Ermittlungsverfahren keine gesetzlichen Beweisregeln, insbesondere keine Regelung, dass die Feststellung des Eintritts einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 ausschließlich davon abhängt, ob eine zeitnah zum Eintritt erstattete ärztliche Bestätigung vorliegt.

Rechtssatz 4: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Zusatztext: Hier: Stellt man den dokumentierten Lebenslauf des Bf mit seinen abgebrochenen Ausbildungen und wenigen, kurzen Arbeitsversuchen dem Fehlen ärztlicher Bescheinigungen aus der Zeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, die sich aus dem damals fehlenden Interesse des Bf und seiner Eltern an einer ärztlichen Hilfe erklären lassen, gegenüber, so wiegt nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts im gegenständlichen Fall und beim vorliegenden Krankheitsbild der Umstand fehlender zeitnaher Befunde weit weniger als die anderen für den Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres sprechenden Beweismittel.

Erhöhte FB für 1964 geborenen Bf bei Borderline Syndrom, Depression, schwerer Persönlichkeitsstörung, Adipoitas per magna nach fünftem BSA-Gutachten

  • § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967
  • BFG vom 11.07.2022, RV/7100815/2018 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Ob sich das volljährige Kind in einer Ausbildung iSd § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) befunden hat, ist eine auf der Tatsachenebene zu lösende Rechtsfrage. Sie ist keine medizinische Frage. Als Rechtsfrage fällt sie in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde und nicht in die Zuständigkeit des BSA-Sachverständigen.

Rechtssatz 2: Das qualifizierte Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist als Amtsgutachten eingerichtet. Die Abgabenbehörde ist bei der Anforderung des Sachverständigengutachtens und der darauf aufbauenden Bescheinigung iSd § 8 Abs 6 FLAG 1967 verpflichtet, den rechtlichen Rahmen der Begutachtung zu bestimmen, wozu auch die Bestimmung des Endes der bis zur Vollendung des 25. oder 27. Lebensjahres absolvierten Ausbildung nach § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) gehört.

Antrag auf Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe bei später festgestelltem Behinderungs­eintritt ab Geburt

  • § 10 Abs. 1 FLAG 1967
  • BFG vom 02.08.2022, RV/5101746/2019 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Spätere Anträge sind als Ergänzungen oder als Urgenz des früheren Antrages anzusehen (vgl. VwGH vom 14.12.2015, Ro 2015/16/0006).

Rechtssatz 2: Als Sache des Beschwerdeverfahrens, somit als Prozessgegenstand des verwaltungs-gerichtlichen Verfahrens, ist jene Angelegenheit anzusehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde gebildet hat (vgl. für viele etwa VwGH vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; VwGH vom 29.01.2015, 2012/15/0030).

Rechtssatz 3: Anders als etwa bei mangelhaften Eingaben, die auch vom Bundesfinanzgericht gemäß § 269 Abs. 1 BAO i.V.m. § 85 Abs. 2 BAO einem Mängelbehebungsverfahren unterzogen werden können, oder bei einer Entscheidung "in der Sache" durch Änderung des Spruches des angefochtenen Bescheides gemäß § 279 Abs. 1 BAO ist es dem Bundesfinanzgericht im Bescheidbeschwerdeverfahren verwehrt, durch Änderung des Antragsdatums, auf das sich ein antragsbedürftiger Bescheid in seinem Spruch bezieht, den Prozessgegenstand auszutauschen (vgl. BFG vom 01.03.2016, RV/7100093/2016; BFG vom 17.03.2016, RV/7101890/2015 u.v.a.).

Studienwechsel: Hemmung des Ablaufes der Studienzeit gemäß § 2 Abs. 1 lit. b neunter Satz FLAG bei Geburt eines Kindes vor Beginn der Berufsausbildung

  • § 2 Abs. 1 lit. b bis e FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
  • BFG vom 01.08.2022, RV/7102209/2022 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Die Voraussetzung, wonach die Geburt des eigenen Kindes erst nach Beginn der Berufs­ausbildung erfolgen darf, damit es zur Hemmung des Ablaufes der Studienzeit kommt, kann dem Wortlaut der genannten Bestimmung nicht entnommen werden. Demgegenüber stellt § 2 Abs. 1 lit. i FLAG explizit darauf ab, dass die Geburt des Kindes bis zu einem bestimmten Stichtag erfolgen bzw. dass die Schwangerschaft zu einem bestimmten Stichtag bestehen muss.

Rechtssatz 2: Die Regelung, wonach Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres den Ablauf der Studienzeit hemmen, sieht – schon vor dem Hintergrund des damit verfolgten Regelungszwecks und ungeachtet der Verwendung des Begriffes „Ablauf“ – unzweifelhaft eine Fortlaufshemmung vor (vgl. VwGH 22.4.2009, 2007/15/0132, wonach es sich dabei um einen „Verlängerungstatbestand“ handelt).

Rechtssatz 3: Bei einer Fortlaufshemmung ruht - anders als bei einer Ablaufshemmung - der Lauf der gehemmten Frist, solange der Hemmungsgrund besteht, und der noch nicht abgelaufene Teil der Frist läuft bei Wegfall des Hemmungsgrundes weiter, womit sich im Ergebnis die anwendbare Frist um den Zeitraum der Hemmung verlängert (vgl. VwGH 27.1.2022, Ra 2021/02/0198; 23.3.1983, 82/09/0160; vgl. auch Ritz/Koran, BAO7, § 238 Rz 20; Köck in Köck/ Judmaier/Kalcher/Schmitt, FinStrG5, § 31 Rz 15). Übertragen auf die gegenständliche Bestimmung sind demnach - bei Geburt eines Kindes nach Beginn der Berufsausbildung - bereits vor Beginn des Hemmungszeitraumes absolvierte Semester Teil der insgesamt zulässigen Studienzeit gemäß § 2 Abs. 1 lit. b zweiter und dritter Satz FLAG, womit nach Ende des Hemmungszeitraumes die noch verbleibende Studienzeit nicht überschritten werden darf. Tritt bei einer Fortlaufshemmung das die Hemmung auslösende Ereignis (der Hemmungsgrund) noch vor Beginn der gehemmten Frist ein, wird – sofern nicht Gegenteiliges gesetzlich vorgesehen ist - der Beginnzeitpunkt dieser Frist bis zum Ablauf des Hemmungs­zeitraumes (bis zum Wegfall des Hemmungsgnmdes) hinausgeschoben (sogenannte Anlaufshemmung), womit anschließend die gesamte vorgesehene Frist zur Verfügung steht (vgl. OGH 17.6.2010, 2 Ob 263/09d; 27.6.2001, 7 Ob 138/0Ix; vgl. Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3, Vorbemerkungen zu §§ 1494 bis 1496 ABGB Rz 3; vgl. VwGH 13.12.2021, Ra 2021/03/0309, wonach - unter Bedachtnahme auf § 7 ABGB - auch im öffentliche Recht auf diese allgemeinen Grundsätze des zivilrechtlichen Verjährungsrechts zurück­gegriffen werden kann).

Rechtssatz 4: Sinn und Zweck der in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG geregelten Verlängerungstatbestände ist die Erhaltung des Anspruchs auf Familienbeihilfe in Zeiten, in denen die vorgesehene Studienzeit (zuzüglich allfälliger Toleranzsemester) aufgrund einer Studienbehinderung nicht eingehalten werden kann (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 2 Rz 85). Auch mit der gegenständlich strittigen Regelung des § 2 Abs. 1 lit. b neunter Satz FLAG - die implizit das Vorliegen einer Studienbehinderung unterstellt (vgl. dazu VwGH 22.4.2009, 2007/15/0132) - wird insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme der Eltern (vgl. dazu erneut VwGH 22.4.2009, 2007/15/0132) durch die Pflege und Erziehung eines Kindes in dessen ersten zwei Lebensjahren die vorgesehene Studienzeit – und die damit verbundene Notwendigkeit entsprechende Leistungsnachweise zu erbringen – nicht eingehalten werden kann. Demnach soll diese Zeit keine negativen Auswirkungen auf den Familienbeihilfeanspruch entfalten und – wie bereits dargestellt – die Studienzeit entsprechend hemmen. Es kann nicht angenommen werden, dass die der Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b neunter Satz FLAG zugrundeliegende – gesetzlich aufgestellte – Vermutung, dass bei Pflege und Erziehung eines Kindes (bis zum zweiten Lebensjahr) die vorgesehene Studienzeit nicht eingehalten werden kann, nur bei Geburt eines Kindes nach Beginn der Berufsausbildung (konkret des Studiums) bestehen soll.

Frühestmöglicher Beginn einer Berufsausbildung

  • § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
  • BFG vom 10.08.2022, RV/7101262/2020 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Die Ansicht, dass irgendeine möglichst früh antretbare Berufsausbildung (irgendein Studium) gewählt werden muss, um die Voraussetzung des Beginns der Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfüllen, hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung abgelehnt.

Zusatztext: Es kommt auf das "Wunschstudium", nicht auf irgendein Studium an.

Rechtssatz 2: Gibt es nicht nur ein „Wunschstudium“, sondern werden zwei Ausbildungen näher in Betracht gezogen und wird eine davon dann tatsächlich begonnen, ist auf die tatsächlich begonnene Ausbildung als „Wunschstudium“ abzustellen und zu prüfen, ob diese zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen worden ist.

Ungekürzte Auszahlung von Familienbeihilfe, wenn in Ungarn kein Anspruch auf Familienleistungen besteht

  • Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004, Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004, Art. 1 Buchstabe i Nr. 1 Z i VO 883/2004, Art. 4 VO 883/2004, Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004, Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883/2004, Art. 67 VO 883/2004, Art. 68 VO 883/2004, § 4 FLAG 1967, § 53 FLAG 1967
  • BFG vom 22.07.2022, RV/7102598/2020 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision).

Rechtssatz 1: Hat der Vater im Wohnortstaat nach dessen nationalen Recht keinen Anspruch auf Familien­leistungen und die Mutter nur im Beschäftigungsstaat Österreich Anspruch auf Familienleistungen, liegt nach der Rechtsprechung des EuGH überhaupt kein Anwendungsfall des Art. 68 VO (EG) 883/2004 vor. Es ist daher Österreich ausschließlich zur Erbringung von Familienleistungen zuständig und daher jedenfalls zur (ungekürzten) Auszahlung von Familienleistungen verpflichtet, falls nach österreichischen Recht in Verbindung mit dem Unionsrecht ein Familienbeihilfeanspruch besteht.

Kein FB-Anspruch im Zeitraum zwischen Abschluss eines Bachelor-Studiums und Beginn eines weiteren Bachelor-Studiums

  • § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, § 10 Abs. 2 FLAG 1967, § 26 Abs. 1 FLAG 1967, § 33 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 03.08.2022, RV/4100184/2019 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Familienbeihilfe steht während Lehrausbildung durch AMS-Maßnahme bis Ende des Monats, in dem die Ausbildung vorzeitig abgebrochen wurde, zu

  • § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967, § 15 Abs. 1 FLAG 1967, § 10 Abs. 2 FLAG 1967, § 26 Abs. 1 FLAG 1967, § 33 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 11.05.2022, RV/7101226/2022 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Keine Zusammenrechnung der gesetzlichen Studiendauer von Bachelor- und Masterstudium für Familienbeihilfe bis 25

  • § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967
  • BFG vom 25.05.2022, RV/5100509/2019 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Bachelorstudium und Masterstudium stellen jeweils eigenständige Berufsausbildungen dar, deren vorgesehene Studienzeiten für Zwecke der Familienbeihilfengewährung nicht zu addieren sind

  • § 26 Abs. 1 FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, § 54 UG, § 236 BAO, § 2 Abs. 1 lit. j FLAG 1967
  • BFG vom 14.06.2022, RV/1100003/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 25. Lebensjahr nicht nachgewiesen

  • § 8 Abs. 4 FLAG 1967, § 8 Abs. 5 FLAG 1967, § 8 Abs. 6 FLAG 1967
  • BFG vom 25.07.2022, RV/7101275/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 7: Um beurteilen zu können, ob eine Behinderung bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (bei Berufsausbildung: des 25. Lebensjahres) ein Ausmaß erreicht hat, das eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht, sind bei Behinderungen, die ihren Grund in Erkrankungen mit variierendem Krankheitsverlauf haben, valide Unterlagen erforderlich, um aus diesen den Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit schließen zu können.

Rechtssatz 9: Liegen einander widersprechende Gutachten vor, ist es dem Verwaltungsgericht gestattet, sich dem einen oder dem anderen Gutachten anzuschließen, es hat diesfalls jedoch - im Rahmen seiner Beweiswürdigung - seine Gedankengänge darzulegen, die es veranlasst haben, von den an sich gleich­wertigen Beweismitteln dem einen einen höheren Beweiswert zuzubilligen als dem anderen. Im Fall des Vorliegens mehrerer Gutachten, die voneinander abweichende Schlussfolgerungen enthalten, ist das Verwaltungsgericht somit gehalten, sich mit den unterschiedlichen Ergebnissen der Gutachten der beteiligten Ärzte beweiswürdigend auseinanderzusetzen. Dabei ist die Schlüssigkeit eines Gutachtens zu prüfen und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen.

Rechtssatz 10: Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten. Die Behörde hat sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt es bei Bedenken gegen ein (ärztliches) Gutachten an der Partei, diesem - auf gleichem fachlichen Niveau - entgegenzutreten, es sei denn, das Gutachten ist mit Widersprüchen bzw. Ungereimtheiten behaftet oder unvollständig. Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, haben ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens freilich auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden. Etwa die unvollständige und unrichtige Befundaufnahme vermag auch ein Laie nachvollziehbar darzulegen.

Rechtssatz 11: Werden nach getroffener Entscheidung neue Beweismittel wie insbesondere Befunde, aus denen sich entnehmen lässt, dass - und warum - voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. bzw. 25. Lebensjahres eingetreten ist, dem Finanzamt beigebracht, steht einem neuen Antrag auf Familienbeihilfe - für Zeiträume ab der Vorlage der neuen Beweismittel und nicht rückwirkend - der Grundsatz der entschiedenen Sache (res iudicata) nicht entgegen, da dann eine Änderung der Sachlage gegenüber der Sachlage im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingetreten wäre. Ob mittels eines neuen Antrags für die Zukunft oder mittels eines Wiederaufnahmeantrags für die Vergangenheit vorzugehen wäre, hängt davon ab, ob es sich um ältere Befunde, die jetzt erst neu hervorgekommen sind, oder um neue Befunde, die auf Grund anderer, älterer Daten erstellt wurden, handelt.

Verhältnis § 26 Abs. 1 FLAG 1967 / § 26 Abs. 4 FLAG 1967 / § 236 BAO

  • § 33 Abs. 3 EStG 1988, § 26 FLAG 1967, § 236 BAO, § 17 StudFG, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, § 12 FLAG 1967, § 26 Abs. 4 FLAG 1967
  • BFG vom 12.09.2022, RV/7102584/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 2: Es kommt nur auf die objektive Rechtswidrigkeit des Bezugs der Familienleistungen an), also auf das Fehlen der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug. Subjektive Momente, wie Verschulden an der (ursprünglichen oder weiteren) Auszahlung der Familienleistungen, Gutgläubigkeit des Empfangs der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags oder die Verwendung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge unerheblich. Gleiches gilt für den gutgläubigen Verbrauch der Beträge.

Rechtssatz 3: Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch das Finanzamt verursacht worden ist.

Zusatztext: Allerdings kann ein Grund für eine Nachsicht nach § 236 BAO vorliegen.

Rechtssatz 4: Ein dem Anspruch auf Familienbeihilfe entgegenstehender Studienwechsel liegt grundsätzlich vor, wenn das Studium nach dem jeweils dritten inskribierten Semester gewechselt wird (§ 17 Abs. 1 Z 2 StudFG). Wird nach dem dritten inskribierten Semester das Studium gewechselt, liegt gemäß § 17 Abs. 1 Z 2 StudFG ein günstiger Studienerfolg nicht vor. Das bedeutet, dass gemäß § 2 FLAG 1967 i. V. m. § 17 Abs. 3 StudFG im neuen Studium grundsätzlich für so viele Semester des neuen Studiums keine Familienbeihilfe auszuzahlen ist, wie das zu spät gewechselte Studium gedauert hat.

Rechtssatz 6: Mitteilungen über den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag gemäß § 12 FLAG 1967 stehen einer Rückforderung gemäß § 26 FLAG 1967 nicht entgegen.

Rechtssatz 7: Die Abstandnahme von der Rückforderung nach § 26 Abs. 4 FLAG 1967 erfolgt nicht durch einen verfahrensrechtlichen Bescheid, sondern dadurch, dass es die Behörde über Weisung der Oberbehörde unterlässt, einen Rückzahlungsbescheid zu erlassen.

Rechtssatz 8: Das behördeninterne Verfahren nach § 26 Abs. 4 FLAG 1967 ist vom Nachsichtsverfahren nach § 236 BAO zu unterscheiden.

Kein Nachweis des Eintritts einer voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres

  • § 8 FLAG 1967
  • BFG vom 02.08.2022, RV/7101741/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Das Nichtablegen einer Lehrabschlussprüfung allein indiziert noch keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit. Auch ungelernte Personen sind in der Lage, mit ihren Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten auf dem (ersten) Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Einkommensteuer

Von der Steuerpflichtigen übernommene Pflegekosten ihres Vaters als außergewöhnliche Belastung

  • § 34 EStG 1988
  • BFG vom 17.06.2022, RV/7100292/2022 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Derjenige Teil der Pflegekosten, die der Gepflegte mangels Vermögens und hinreichenden Einkommens nicht selbst tragen kann und die tatsächlich von dem einzigen Kind des Gepflegten getragen werden, erwachsen dem Kind zwangsläufig und sind außergewöhnlich. Die wesentliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist durch Ansatz des Selbstbehaltes zu berücksichtigen.

Kreditzinsen und Kursverluste als nachträgliche Betriebsausgaben

  • § 32 Z 2 EStG 1988
  • BFG vom 22.06.2022, RV/7102587/2020 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Wird ein Fremdwährungsdarlehen aus betrieblichen Gründen aufgenommen und kommt es in der Folge zu einer Änderung des Wechselkursverhältnisses, so ist das positive oder negative Ergebnis aus der Konvertierung im Rahmen der betrieblichen Einkünfte zu berücksichtigen. Da die betriebliche Veranlassung von Einnahmen und Ausgaben nicht mit der Beendigung des Betriebes endet, liegen insoweit nachträgliche Betriebsausgaben vor, als die Aufwendungen mit der ehemaligen Tätigkeit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Bei einem ursprünglich aus betrieblichen Gründen aufgenommenen Fremdwährungskredit sind daher nicht nur die Schuldzinsen, sondern auch die erlittenen Kursverluste als nachträgliche Betriebsausgaben anzusehen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 223

Verkauf einer unterpreisig erworbenen Forderung und Verkauf zum Nominale - Vermögenszuwachsbesteuerung nach § 27 Abs. 3 EStG

  • § 27 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, § 27 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 05.07.2022, RV/7100408/2022 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision).

§ 27 Abs. 3 EStG 1988 idgF sieht eine Vermögenszuwachsbesteuerung für Kapitalerträge iSd Abs 2 leg. cit vor. § 27 Abs. 2 Z 2 idgF entspricht inhaltlich § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 idF vor Budgetbegleitgesetz 2011. Zu dieser Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof judiziert, dass im Fall eine Forderung deshalb unter dem Nominale gekauft wird, weil sie notleidend bzw. risikobehaftet ist und sie dann im Privatvermögen zur Gänze eingeht, dieser wirtschaftliche Vorteil nicht von der Einkommensteuer erfasst ist. Ein anderer Fall läge nur dann vor, wenn die Forderung bloß im Hinblick auf ihre spätere Fälligkeit um einen Abzinsungsbetrag billiger erworben würde; in einem solchen Fall würde der Zessionar Einkünfte aus Kapitalvermögen (VwGH 11.11.2008, 2006/13/0088, 0091; 24. 6. 2010, 2008/15/0241). Diese Erkenntnisse sind wegen der inhaltlichen unverändert gebliebenen Bestimmungen auch für die Rechtslage ab Budgetbegleitgesetz 2011 einschlägig. Wird eine risikobehaftete Forderung unter Nominale erworben und geht sie im Privatvermögen zur Gänze ein, fällt dieser Vorgang nur dann unter die Vermögenszuwachsbesteuerung des § 27 Abs. 3 EStG 1988, wenn die Kapitalforderung zinstragend bzw. abgezinst und daher von § 27 Abs. 2 Z 2 EStG erfasst war.

Offenkundigkeit einer verdeckten Ausschüttung (Mutter-Tochter-Richtlinie)

  • § 94a EStG 1988, Einbehaltung von Kapitalertragsteuer - Mutter-Tochter-Richtlinie, § 94a EStG 1988
  • BFG vom 29.06.2022, RV/7102083/2009 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Wird - noch vor Durchführung einer Sorgfaltsprüfung nach § 3 VO anhand der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der allgemein zugänglichen Verwaltungspraxis - das Vorliegen einer gesellschaftsrechtlichen Vorteilsgewährungsabsicht zwar festgestellt, kann auf diese jedoch aus den Umständen des Einzelfalles nicht zweifelsfrei geschlossen werden, insbesondere, weil nicht unerhebliche Sachverhaltselemente gegen diese Feststellung sprechen, kann von einer offenkundigen verdeckten Ausschüttung nicht gesprochen werden.

Nichtanerkennung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer

  • § 16 Abs. 1 Z 8 EStG 1988
  • BFG vom 22.08.2022, RV/1100038/2020 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Ein zur Entkräftung der gesetzlich vermuteten Nutzungsdauer erstelltes Gutachten muss jedenfalls auf den konkreten Bauzustand eingehen und einen nachvollziehbaren Bezug zwischen dem Befund und der vom Gutachter angesetzten Restnutzungsdauer herstellen (VwGH 11.5.2005, 2001/13/0162).

Rechtssatz 2: Ein Gutachten, das von der Nutzungsdauer im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens ausgeht, ist bereits vom Ansatz her methodisch verfehlt. Für die Ermittlung der Nutzungsdauer ab dem jeweils sich aus § 16 Abs 1 Z 8 lit a bis d EStG 1988 ergebenden Zeitpunkt ist ein derartiges Gutachten daher unmaßgeblich (VwGH 22.06.2001, 2000/13/0175).

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 269

Umfang der Hauptwohnsitzbefreiung bei großem Grundstück

  • § 30 Abs. 2 EStG 1988, § 30 EStG 1988
  • BFG vom 01.06.2022, RV/7100215/2019 (Abweisung; Revision zugelassen)

Bei der Hauptwohnsitzbefreiung ist nicht auf die Ortsüblichkeit und somit nicht auf die Grundstücksgrößen in der unmittelbaren Nachbarschaft abzustellen, sondern von einer typisierenden Betrachtung auszugehen.
Im Allgemeinen ist ein Bauplatz von 1.000 m² jedenfalls als ausreichend anzusehen.

Keine Anerkennung der pauschalen Freibeträge wegen Behinderung für nicht von der Bescheinigung durch das Sozialministeriumservice erfasste Zeiträume

  • § 35 Abs. 2 EStG 1988, § 35 Abs. 8 EStG 1988
  • BFG vom 01.09.2022, RV/7100165/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 sind sowohl die Tatsache der Behinderung als auch das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. der Grad der Behinderung durch eine amtliche Bescheinigung (bzw. elektronische Übermittlung iSd § 35 Abs. 8 EStG 1988) der zuständigen Stelle (idR das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) nachzuweisen. Die Abgabenbehörde hat ihrer Entscheidung die jeweils vorliegende amtliche Bescheinigung zu Grunde zu legen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 259

Kosten für das Lycee Francais de Vienne (Schulgeld, Halbpension, Unterrichtsmaterialien) keine außergewöhnliche Belastung

  • § 34 Abs. 7 Z 1 bis 4 EStG 1988
  • BFG vom 23.09.2022, RV/7102807/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Unterhaltsleistungen sind nach der Anordnung des Gesetzgebers steuerlich nicht zu berücksichtigen, es sei denn, sie würden beim Steuerpflichtigen selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen, wie va. Krankheits- oder Pflegekosten (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG 16. EL, § 34 Anm. 51). Im Schrifttum werden als Beispiele für solche Krankheits- oder Pflegekosten etwa Kosten der Behinderung eines Kindes sowie Kosten in Zusammenhang mit dessen Drogenkrankheit oder seiner Pflege bzw. Betreuung in einem Pflegeheim genannt (Jakom/Peyerl EStG, 2021, § 34 Rz 68, mit Judikaturverweisen). Abgesehen von dieser Ausnahme sind Unterhaltsleistungen selbst dann vom Abzug ausgeschlossen, wenn eine rechtliche Verpflichtung - beispielsweise Notsituation der Unterhaltsberechtigten - besteht (Wanke, § 34 Anm. 51, mit Verweis auf VwGH 26.11.1997, 95/13/0146).

Zusatztext: Hier: Kosten einer Privatschule, Lycee Francais de Vienne für (Adoptiv-)Tochter, in deren Geburtsland die Landessprache Französisch ist.

Gewerblicher Grundstückshandel bei Verkauf von 30 Parzellen

  • § 4 EStG 1988, § 23 EStG 1988
  • BFG vom 20.07.2022, RV/7105561/2017 (teilweise Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Werden im Zeitraum von vier Jahren 30 Grundstücke, die zuvor durch Parzellierung geschaffen wurden, veräußert, liegt ein Umfang vor, der eine bloße Vermögensverwaltung weit überschreitet.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 260

Körperschaftsteuer und Umgründungen

1. Nachweis des wirtschaftlichen Eigentums an Anteilen an einer kroatischen d.o.o bei behaupteter mündlicher Treuhand nicht gelungen
2. Weder die nominelle Kapitalherabsetzung noch die effektive Kapitalherabsetzung eines „Kapitalschnittes“ stellen eine Realisierung iSd § 27 EStG 1988 idF BGBl I 112/2011 dar

  • § 27 Abs. 6 Z 2 EStG 1988, § 27 Abs. 3 EStG 1988, § 27 EStG 1988
  • BFG vom 27.07.2022, RV/5101479/2015 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: VfGH-Beschwerde zur Zahl E 2434/2022 anhängig.
Beachte: Revision eingebracht.

Rechtssatz 1: Die Anerkennung iSe Teilliquidation des mit einer Kapitalerhöhung verbundenen Verlustes als realisierten steuerwirksamen Wertverlust ist im Gesetz somit (nach wie vor) nicht vorgesehen.

Rechtssatz 2: Eine Veräußerung iSd § 27 Abs. 3 EStG 1988 idF BGBl I 112/2011 liegt bei einer Kapital­herabsetzung nur dann vor, wenn die Rückzahlung die Anschaffungskosten des jeweiligen Anteilseigners übersteigt; ein Verlust kann sich somit nicht ergeben.

Rechtssatz 3: Bei einer Kapitalerhöhung kommt es, unter der Annahme einer fremdüblichen Wertfindung und der Festlegung des Beteiligungsverhältnisses nach Verkehrswerten (d. h. keine Übertragung von Bezugs­rechten), zu keiner Vermögensübertragung aus Sicht des Altgesellschafters. Insbesondere tritt hinsichtlich seiner Verfügungsmacht über die Beteiligung keine Änderung ein. Das (rechtliche und wirtschaftliche) Eigentum an seiner Beteiligung wird durch eine Kapitalerhöhung nicht verändert.

Das wirtschaftliche Eigentum, auf das es aus steuerlicher Sicht letztlich ankommt, geht so lange nicht verloren, als dem Gesellschafter die Rechte aus den betreffenden Anteilen zustehen. Die dem Gesellschafter aus der konkreten Beteiligung zustehenden Vermögens- und Verwaltungsrechte werden durch eine Kapitalerhöhung nicht auf einen anderen übertragen und gehen auch sonst nicht unter. Dass hinsichtlich der Beteiligung an der Beteiligungsgesellschaft im Zuge einer Kapitalerhöhung kein Vermögensübergang eintritt, ergibt sich auch daraus, dass der Nominalwert (und Verkehrswert) der Beteiligung durch die Kapitalerhöhung nicht berührt wird. Die Verminderung der Beteiligungsquote wird dadurch ausgeglichen, dass sich die Beteiligung nunmehr auf ein entsprechend höheres Stammkapital (und insbesondere auch Vermögen) der Beteiligungsgesellschaft bezieht.

Rechtssatz 4: Weder die nominelle Kapitalherabsetzung noch die effektive Kapitalherabsetzung eines „Kapitalschnittes“ stellen eine Realisierung iSd § 27 EStG 1988 idF BGBl I 112/2011 dar.

Normverbrauchsabgabe

Vergütung der Normverbrauchsabgabe (§ 12a Abs. 1 erster Teilstrich NoVAG), obwohl die Person, die das Fahrzeug ins Ausland liefert, nicht Zulassungsbesitzer ist

  • § 12a Abs. 1 NoVAG 1991
  • BFG vom 28.07.2022, RV/7102109/2021 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Liefert eine Person ein Kraftfahrzeug, das mit NoVA belastet ist, ins Ausland, so ist der Begriff des Zulassungsbesitzers des § 12a Abs. 1 erster Teilstrich NoVAG 1991 weit auszulegen. Zulassungsbesitzer ist somit auch die Person, auf die das Fahrzeug zuzulassen wäre, weil andernfalls die unionsrechtliche Vorgabe (EuGH 21.3.2002, C-451/99 Cura Anlagen GmbH), dass ein Kraftfahrzeug endgültig nur proportional zur Dauer der inländischen Nutzung mit NoVA belastet werden darf, nicht erfüllt werden könnte.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 281

Zurückweisung von verspätet eingebrachten Anträgen auf NoVA-Vergütung

  • § 12a Abs. 2 NoVAG 1991
  • BFG vom 28.04.2022, RV/3100073/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Beachte: Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2022/15/0054.

Ein Antrag auf Vergütung der Normverbrauchsabgabe kann fünf Jahre ab Verwirklichung aller Voraus­setzungen des § 12a Abs. 1 NoVAG 1991 gestellt werden. Eine Festsetzung der Normverbrauchsabgabe (etwa aufgrund widerrechtlicher Verwendung) hat auf den Fristenlauf keinen Einfluss.

Keine Vergütung der Normverbrauchsabgabe

  • § 12 Abs. 1 Z 3 NoVAG 1991, § 3 Abs. 3 NoVAG 1991
  • BFG vom 15.03.2022, RV/7100331/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Bei Fehlen des Nachweises für den überwiegenden (80%) begünstigten Zweck, steht keine Vergütung der Normverbrauchsabgabe zu.

Rechtssatz 2: Obwohl für die Normverbrauchsabgabe eine Maßgeblichkeit des umsatzsteuerlichen Begriffsverständnisses besteht, ist keine Akzessorietät zur Umsatzsteuer herzustellen.

Umsatzsteuer

Entstehung des Abgabenanspruches bei unrichtiger Geltendmachung von Vorsteuern

  • § 4 Abs. 3 BAO, § 29 Abs. 6 FinStrG, § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1994
  • BFG vom 23.06.2022, RV/7100423/2022 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision).

Auch hinsichtlich unrichtig geltend gemachter Vorsteuern ist an die Entstehung der Steuerschuld iSd § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG anzuknüpfen, und nicht an den Fälligkeitstag der Umsatzsteuer am 15. des zweit­folgenden Monats iSd § 21 Abs. 1 UStG. Dies ergibt sich aus dem Verweis des § 4 Abs. 3 BAO auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld. Es wäre daher verfahrensgegenständlich für das abweichende Wirtschaftsjahr spätestens im April 2011 wegen des Vertriebsstartes für Wohnungsverkäufe eine Berichtigung der Vorsteuern in das Rechenwerk für die Voranmeldung aufzunehmen gewesen und wurden zuletzt im Monat April 2011 unrichtig Vorsteuern in voller Höhe geltend gemacht, damit ist mit Ablauf des Monats der Abgabenanspruch entstanden, dessen Geltendmachungsmöglichkeit mittels Bescheiderlassung durch Verlängerungs-handlungen zwar bis in das Jahr 2021 erstreckt werden konnte, jedoch nur bis zum Eintritt der absoluten Festsetzungsverjährung.

Der Abgabenanspruch der monatlich selbst zu berechnenden Umsatzsteuer im Voranmeldungszeitraum entsteht unabhängig von einer Wahrnehmung oder Unterlassung einer Erklärungspflicht einer bei deren Fälligkeit zu meldenden Zahllast oder der Geltendmachung einer Gutschrift für einen Voranmeldungszeitraum.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 250

Vorsteuerabzugsberichtigung trotz nicht eingereichter Steuererklärungen in den Vorjahren

  • § 16 UStG 1994
  • BFG vom 13.04.2022, RV/2100410/2019 (Abweisung; Revision zugelassen)

Eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges iSd § 16 UStG 1994 ist auch dann vorzunehmen, wenn in den Vorjahren trotz Ausführung von Umsätzen keine Steuererklärungen eingereicht wurden. Ähnlich wie in § 22 UStG 1994 vorgesehen, ist nämlich von einer Versteuerung der Umsätze und dem Abzug der Vorsteuern in zumindest derselben Höhe auszugehen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 234

Vorsteuerberichtigung für ein vor dem 1.1.2011 errichtetes Gebäude, hinsichtlich dessen der volle Vorsteuerabzug (auch für den privat genutzten Teil) geltend gemacht worden war

  • § 28 Abs. 38 UStG 1994
  • BFG vom 23.06.2022, RV/3100587/2021 (Abweisung; Revision zugelassen)

Wurde bei einem vor 1.1.2011 errichteten Gebäude des Anlagevermögens auch für den privat genutzten Teil der volle Vorsteuerabzug in Anspruch genommen, bedingt die ab 1.1.2011 geänderte diesbezügliche Rechtslage eine Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 UStG.

Berichtigung Vorsteuer – Rückgängigmachung Kauf

  • § 16 Abs. 3 Z 3 UStG 1994, Art. 90 Abs. 1 RL 2006/112/EG, Art. 185 RL 2006/112/EG
  • BFG vom 02.05.2022, RV/4100704/2019 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Parteienrevision und Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zl. Ro 2022/15/0030, Ro 2022/15/0031.

Wird ein Vertrag mit Wirkung ex nunc aufgelöst, so ist die Vorsteuer nur im Umfang der noch aushaftenden Beträge und nicht in ihrer ursprünglichen Gesamthöhe zu berichtigen.

Verfahrensrecht

Anfechtung der Begründung eines Bescheides, Nichterfüllung des diesbezüglichen Mängelbehebungsauftrages

  • § 85 Abs. 2 BAO, § 250 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 27.06.2022, RV/7101026/2022 (Zurücknahme, Revision nicht zugelassen)

Die bloße Anfechtung der Begründung eines Bescheides und Beantragung der Änderung (Richtigstellung) der Bescheidbegründung sind kein geeignetes Beschwerdebegehren iSd § 250 Abs. 1 lit. b und c BAO.

Berichtigung eines Aufhebungsbescheides durch das Finanzamt nach Eingehen der Beschwerde bei beantragter und erfolgter Direktvorlage an das Bundesfinanzgericht

  • § 262 Abs. 2 BAO, § 293 BAO, § 300 BAO
  • BFG vom 24.06.2022, RV/7100860/2022 (Zurückweisung, Revision nicht zugelassen)

Die Begründung eines Aufhebungsbescheides gemäß § 299 BAO legt den Prozessgegenstand des nach­folgenden Beschwerdeverfahrens beim Verwaltungsgericht fest. Die Nachholung einer zuvor fehlenden Begründung der Ermessensübung im Wege eine Berichtigung nach § 293 BAO stellt eine Abänderung des Prozessgegenstandes dar und kann daher in Fällen der Direktvorlage der Beschwerde gemäß § 262 BAO nicht vorgenommen werden, da die Behörde diesfalls gegen die Entscheidungssperre des § 300 Abs. 1 BAO verstößt. Der Berichtigungsbescheid in derartigen Fällen ist sohin nichtig.

Bescheidmäßige Feststellung, ob ein Kapitalabfluss vorliegt?

  • § 92 BAO, § 1 Z 3 Kapitalabfluss-Meldegesetz, § 2 Kapitalabfluss-Meldegesetz, § 3 Kapitalabfluss-Meldegesetz, § 5 Kapitalabfluss-Meldegesetz, § 12 Abs. 1 Kapitalabfluss-Meldegesetz
  • BFG vom 08.06.2022, RV/7102846/2021 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Das Kapitalabfluss-Meldegesetz bietet keine Rechtsgrundlage für einen Feststellungsantrag des Kontoinhabers, dass eine bestimmte Auszahlung oder Überweisung keinen Kapitalabfluss i. S. d. Kapitalabfluss-Meldegesetz darstelle.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 246

Wiederholter Antritt zu den Teilprüfungen der Reifeprüfung

  • § 293 BAO
  • BFG vom 09.06.2022, RV/5100004/2021 (Abänderung, Revision nicht zugelassen)

Im Rahmen der Bescheiderlassung der Abgabenbehörde unterlaufene Fehler im Sinne des § 293 BAO sind im Spruch des in der Beschwerdesache ergehenden Erkenntnisses richtigzustellen (vgl. Stoll, BAO, 2826; vgl. zur beantragten Berichtigung gemäß § 293 BAO auch Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I BAO3, § 279 Rz 3).

Zuständigkeit des Wohnmitgliedsstaates iSd Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung (EG) 883/2004

  • § 85 BAO, § 166 BAO
  • BFG vom 31.05.2022, RV/5101229/2020 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Die Beantwortung von Bedenkenvorhalten zählt zu den Anbringen im Sinne des § 85 BAO, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht per E-Mail eingebracht werden können (vgl. Fischerlehner, Abgabenverfahren3, § 86a Tz 7 mit Judikaturnachweisen). Als Beweismittel sind per E-Mail eingebrachte Unterlagen jedoch allenfalls verwertbar (vgl. Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 86a Anm 9 mit Hinweis auf § 166 BAO). Gemäß § 166 BAO kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des einzelnen Falles zweck­dienlich ist. So sind zwar auch telefonische Anbringen keine (mündlichen) Anbringen im Sinne des § 85 BAO; dies schließt aber nicht aus, telefonische Mitteilungen, die in Aktenvermerken festzuhalten sind, in freier Beweiswürdigung zu berücksichtigen (VwGH 1.9.1999, 99/16/0097, zitiert in Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 166 E 28; ebenso Ritz, BAO7, § 85 Tz 9). Gleiches gilt für Unterlagen, die per E-Mail übermittelt werden und die zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet sind.

Verjährung der Grunderwerbsteuer bei Geltendmachung gegenüber mehreren Schuldnern

  • § 209 Abs. 1 BAO, § 209a Abs. 2 BAO
  • BFG vom 27.06.2022, RV/5101207/2020 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Da Verwaltungsgerichte keine Abgabenbehörden sind, stellen deren Ermittlungshandlungen im Abgabenverfahren keine Verlängerungshandlungen dar (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB § 209, 580; Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I3 § 209 BAO, Rz. 8; Ritz/Koran, BAO7, § 209 Rz. 8).

Rechtssatz 2: Verzögerungen im Rechtsmittelverfahren über die Verjährung hinaus stehen einer Rechtsmittelerledigung (Beschwerdevorentscheidung oder einem Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts) nicht im Wege, jedoch einer erstmaligen Abgabenfestsetzung. § 209a Abs. 2 BAO gestattet eine verjährungs­ungebundene Abgabenfestsetzung außerhalb eines Rechtsmittelverfahrens nur dann, wenn die Abgaben­festsetzung von der Erledigung einer anderen mit Beschwerde bekämpften Verwaltungsangelegenheit abhängig ist.

Rechtssatz 3: Die Behörde kann einzelne Schuldner in Anspruch nehmen (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 6 Anm 5). Dazu ist ein Leistungsgebot (Bescheid) an den einzelnen Schuldner zu richten. Die Auswahl der zur Leistung der Abgabenschuld heranzuziehenden Gesamtschuldner, die Belastung der Einzelnen mit der Gesamtschuld oder nur einem Teil davon, die Bestimmung des Zeitpunktes und der Reihenfolge der Heranziehung der einzelnen Gesamtschuldner liegt im Ermessen der Behörde. Hat sich die Behörde zunächst dafür entschieden, die Grunderwerbsteuerschuld gegen einen der möglichen Abgabenschuldner geltend zu machen, hat das Rechtsmittelverfahren in diesem Abgabenfestsetzungsverfahren keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährungsfrist. Nur nach Maßgabe der in § 209a BAO normierten Ausnahmen ist trotz Eintritt der Verjährung eine Abgabenfestsetzung zulässig.

Keine Aussetzung der Einhebung ohne offenem Rechtsmittelverfahren

  • § 212a Abs. 1 BAO
  • BFG vom 29.06.2022, RV/7103461/2020 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Ein Sammelbescheid zB iSd § 201 Abs. 4 BAO ist eine Zusammenfassung von einzelnen Bescheiden, aber tatsächlich mehrere Einzelbescheide und damit auch einzeln bekämpfbar. Das kann für die Aussetzung der Einhebung zB von Monatsabgaben von Bedeutung sein, da in einem Monat die Voraussetzungen für die Aussetzung der Einhebung vorliegen können, während sie in einem anderen Monat nicht vorliegen.

Einstellung des Beschwerdeverfahrens betreffend eine vollbeendete Gesellschaft mit beschränkter Haftung

  • § 40 FBG
  • BFG vom 09.03.2022, RV/7105971/2019 (Einstellung, Revision nicht zugelassen)

Bei einer im Firmenbuch gelöschten GmbH, die vermögenslos ist und die selbst bei theoretisch günstigst­möglicher Entscheidung über die Beschwerde kein Guthaben auf dem Steuerkonto erreichen würde, besteht kein Abwicklungsbedarf durch Fortführung des Beschwerdeverfahrens. Eine solche GmbH ist vollbeendet und existiert nicht mehr. Das Beschwerdeverfahren ist mit Beschluss, welcher nur an die belangte Behörde ergeht, einzustellen.

Beschwerdelegitimation potentiell Haftungspflichtiger; rechtswidrige Entscheidung über die Beschwerde betreffen den Sachbescheid vor der Entscheidung über die Verfahrens­wiederaufnahme

  • § 267 BAO, § 281 BAO
  • BFG vom 07.07.2022, RV/7102983/2019 (Einstellung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Zwar sind nach § 267 BAO gegen einen Bescheid gerichtete gemeinsame Beschwerden in einem gemeinsamen Verfahren zu verbinden und es hat darüber nach § 281 BAO grundsätzlich auch nur eine einheitliche Entscheidung zu ergehen, um eine unterschiedliche Sachentscheidung in derselben Sache zu verhindern (zB Stoll, BAO, 2729). Dies setzt allerdings voraus, dass ein Bescheid mit mehreren zulässigen Bescheidbeschwerden angefochten ist (Ritz/Koran, BAO7, § 267 Rz 3). Eine einheitliche Sachentscheidung nach § 281 BAO wirkt hingen nur hinsichtlich meritorischer Entscheidungen.

Rechtssatz 2: Vom Einheitlichkeitsgebot nicht betroffen sind Beschlüsse des Verwaltungsgerichts, die die Beschwerde zurückweisen. Wird hingegen die Beschwerde in einer Beschwerdevorentscheidung zurück­gewiesen, hätte dies nach dem Wortlaut des Klammerausdrucks in § 281 Abs 1 BAO in einer einheitlichen Beschwerdevorentscheidung zu erfolgen. Da aber formelle Beschwerdevorentscheidungen über die Zulässigkeit der Beschwerde oder deren Wirksamkeit absprechen, wäre eine einheitliche Entscheidung systemwidrig (vgl Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I BAO 3, § 281 Rz 1). Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei mehreren Beschwerdeführern, die nicht alle die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen, ein von der inhaltlichen Erledigung gesonderter Abspruch schon aus Gründen der steuerlichen Geheimhaltung erfolgen muss (vgl § 48a BAO).

Aussetzung der Einhebung und Erfolgsaussichten der Beschwerde

  • § 212a Abs. 2 BAO
  • BFG vom 14.06.2022, RV/7101047/2019 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Hängt der Erfolg einer Beschwerde von einer (im Festsetzungsverfahren durchzuführenden) Einzelfallprüfung ab, kann für das Aussetzungsverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde i.S.d. § 212a Abs 2 lit. a) BAO wenig erfolgversprechend ist.

Akteneinsicht durch Widerspruchswerber i.S.d. § 14 AbgEO; (ausdrücklicher) Antrag des Widerspruchswerbers auf Erlassung eines Bescheides

  • § 14 AbgEO
  • BFG vom 14.06.2022, RV/7103271/2018 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 2: Über einen Widerspruch Dritter i.S.d. § 14 AbgEO hat grundsätzlich kein Bescheid (auch kein zurückweisender) zu ergehen, sondern kann die Behörde dem Widerspruchswerber nur durch Parteierklärung ohne Bescheidcharakter mitteilen, dass sie seinen Widerspruch für unberechtigt hält. Beantragt der Widerspruchswerber jedoch ausdrücklich einen Bescheid für den Fall, dass die Vollstreckung nicht eingestellt wird, ist dieser Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Verspäteter Antrag auf ArbeitnehmerInnenveranlagung

  • § 279 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 20.07.2022, RV/5100385/2022 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

wie RV/5101670/2014-RS1 (hier: Zurückweisung als verspätet)

Wenn die Beschwerde weder zurückzuweisen, noch als zurückgenommen oder gegenstandslos zu erklären, noch die Sache nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide an die Abgabenbehörde zurückzuverweisen ist, hat das BFG gem. § 279 BAO in der Sache selbst zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn die Abgabenbehörde die Beschwerde mit einer formalen Beschwerdevorentscheidung (hier: Erklärung als zurück­genommen gem. § 85 Abs. 2 BAO) erledigt und somit das BFG erstmals meritorisch über die Beschwerde abspricht.

Kein Nachweis einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit

  • § 299 Abs. 1 BAO, § 119 BAO
  • BFG vom 08.08.2022, RV/7101259/2022 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Nach der ständigen Rechtsprechung korrespondiert dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Das Offizialprinzip entbindet die Parteien nicht davon, durch ein substantiiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhalts beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedarf. Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ohne Mitwirkung der Partei festzustellen, ist von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen. Die Mitwirkungspflicht der Partei ist gerade dort von Bedeutung, wo ein Sachverhalt nur im Zusammenwirken mit der Partei geklärt werden kann, weil die Behörde außerstande ist, sich die Kenntnis von ausschließlich in der Sphäre der Partei liegenden Umständen von Amts wegen zu beschaffen.

Aussetzung der Einhebung

  • § 212a Abs. 2 lit. a BAO
  • BFG vom 20.07.2022, RV/7104854/2018 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Es ist nicht die Aufgabe des Aussetzungsverfahrens, die Entscheidung im Abgabenfestsetzungsverfahren vorwegzunehmen. Hängt daher der Erfolg der Beschwerde im Festsetzungsverfahren von strittigen Sachverhaltsfragen ab, deren Beantwortung die Durchführung eines Beweisverfahrens (einschließlich Beweiswürdigung) erfordert, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde wenig erfolg­versprechend ist.

Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 Abs. 3 BAO

  • § 11 BAO, § 232 Abs. 3 BAO
  • BFG vom 30.08.2022, RV/5100689/2021 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Eine Haftung gemäß § 11 BAO besteht erst ab Heranziehung eines rechtskräftig verurteilten Beitragstäters mittels Haftungsbescheid. Bis zu diesem Zeitpunkt kommt er lediglich als Haftungsschuldner in Betracht und ist damit nur potenzieller Haftungsschuldner. Ein Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 Abs. 3 BAO kann dagegen bereits vor Entstehen des Haftungsanspruches nach § 11 BAO ab Anhängigkeit des Strafverfahrens erteilt werden.

Aussetzung der Einhebung gegenüber einer GmbH, deren Geschäftsführer ins Ausland verzogen ist

  • § 212a Abs. 2 lit. c BAO
  • BFG vom 27.07.2022, RV/7101185/2022 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Bei der Anwendung des § 212a Abs. 2 lit. c BAO gegenüber einer juristischen Person ist zwischen deren Vermögenssphäre und jener ihrer Organe zu unterscheiden. Es stellt daher kein auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit gerichtetes Verhalten der abgabepflichtigen GmbH dar, wenn ihr Geschäftsführer seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt.

Körperschaftsteuer: Nachträgliche Abgabenfestsetzung bei einer wegen Vermögens­losigkeit gemäß § 40 FGB gelöschten GmbH (Wegfall der organschaftlichen Vertretung durch die Löschung und Zustellung)

  • § 40 FBG, § 79 BAO, § 80 Abs. 1 BAO, § 13 Abs. 3 ZustG, § 264 Abs. 4 lit. e BAO, § 260 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 23.08.2022, RV/2100564/2022 (Zurückweisung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Wird eine GmbH nach dem Firmenbuchgesetz infolge rechtskräftiger Abweisung eines Antrages auf Konkurseröffnung mangels kostendeckenden Vermögens oder wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht, so ist ihre Rechtspersönlichkeit beendet, sofern und solange kein Aktivvermögen vorhanden ist (zum Amtslöschungsgesetz: VwGH 12.05.1998, 98/08/0013).

Rechtssatz 2: Die Löschung einer GmbH im Firmenbuch wirkt insofern nur deklarativ, als sie nicht zum Verlust der Parteifähigkeit führt, solange Vermögen vorhanden ist. Der Fortbestand der Rechtssubjektivität einer wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöschten GmbH ist zu bejahen, solange noch ein Abwicklungsbedarf besteht, was dann der Fall ist, wenn Abgabenverbindlichkeiten einer solchen Gesellschaft bescheidmäßig festzusetzen sind. Für das Rechtsmittelverfahren ist zu prüfen, ob sich auf Grund des Rechtsstreits nachträglich ein abwickelbares Vermögen ergeben könnte, sodass die Rechtspersönlichkeit insoweit als fortdauernd anzusehen wäre. Sind keine Zahlungen auf die strittige Abgabenschuld erfolgt, besteht somit keine Aussicht auf einen Rückzahlungsanspruch, und wurde das Vorliegen eines anderweitigen Vermögens und damit Abwicklungsbedarfes nicht behauptet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtspersönlichkeit fortbesteht (vgl. VwGH 28.10.2014, Ro 2014/13/0035, mwA).

Rechtssatz 3: Es entspricht der herrschenden Lehre und Rechtsprechung, dass die Löschung einer Gesellschaft nach § 40 FBG mit konstitutiver Wirkung auch zum Wegfall der organschaftlichen Vertretung der bisherigen Geschäftsführer oder Liquidatoren führt, selbst wenn die Gesellschaft trotz Löschung noch fortbesteht, weil etwa noch Aktivvermögen vorhanden ist (OGH 04.11.2019, 3 Ob 111/19y, mwA).

Rechtssatz 4: Weil der in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnete (ehemalige) Geschäftsführer durch die Löschung nicht mehr organschaftlicher Vertreter der GmbH und somit nicht mehr gemäß § 13 Abs. 3 ZustG zur Empfangnahme von Bescheiden befugt war, wurden die Erledigungen der Abgabenbehörde nicht als Abgabenbescheide wirksam.

Rechtssatz 5: Die im Namen der (nicht mehr existenten) GmbH gestellten Vorlageanträge waren mit an den Einschreiter gerichtetem Beschluss als unzulässig zurückzuweisen.

Aussetzung der Einhebung gegenüber einem Abgabepflichtigen, der in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verzogen ist

  • § 212a Abs. 2 lit. c BAO
  • BFG vom 27.07.2022, RV/7101769/2022 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Zufolge der in der Europäischen Union geltenden Freizügigkeit ist es grundsätzlich nicht möglich, einem Abgabepflichtigen die Aussetzung der Einhebung wegen Gefährdung der Einbringlichkeit i.S.d. § 212a Abs. 2 lit. c BAO lediglich deswegen zu versagen, weil er seinen Wohnsitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt hat. Angesichts der (hoch entwickelten) Amtshilfe im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten kann in einem solchen Fall grundsätzlich auch nicht von einer Gefährdung der Einbringlichkeit ausgegangen werden.

Keine Verpflichtung zur Entrichtung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für Gemeindebedienstete, die einem ausgegliederten Rechtsträger zur Dienstleistung zugewiesen sind

  • § 122 Abs. 7 WKG, § 209a Abs. 2 BAO
  • BFG vom 06.09.2022, RV/7103993/2019 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Die Überlassung von Bediensteten einer Gebietskörperschaft (ausschließlich) an deren ausgegliederte Rechtsträger gegen Kostenersatz stellt keine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 1 Abs. 2 GewO dar und begründet daher keine Mitgliedschaft zu den Wirtschaftskammern. Demnach hat die Gebietskörperschaft für diese Bediensteten keinen Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag zu entrichten.

Rechtssatz 2: Ein Antrag auf Abgabenfestsetzung hat die im § 209a Abs. 2 BAO vorgesehene Wirkung (Verjährung steht der Abgabenfestsetzung nicht entgegen, wenn der Antrag vor Ablauf der Verjährungsfrist eingebracht wurde) auch dann wenn ein Antragsrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist (hier: Antrag auf Festsetzung einer Selbstbemessungsabgabe vor ausdrücklicher Einführung eines diesbezüglichen Antragsrechtes in § 201 BAO durch das AbgRmRefG, BGBl. Nr. 97/2002).

Keine Verpflichtung zur Entrichtung des Dienstgeberbeitrages für Gemeindebedienstete, die einem ausgegliederten Rechtsträger zur Dienstleistung zugewiesen sind

  • § 209a Abs. 2 BAO, § 201 BAO
  • BFG vom 06.09.2022, RV/7104987/2018 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 2: Ein Antrag auf Abgabenfestsetzung hat die im § 209a Abs. 2 BAO vorgesehene Wirkung (Verjährung steht der Abgabenfestsetzung nicht entgegen, wenn der Antrag vor Ablauf der Verjährungsfrist eingebracht wurde) auch dann wenn ein Antragsrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist (hier: Antrag auf Festsetzung einer Selbstbemessungsabgabe vor ausdrücklicher Einführung eines diesbezüglichen Antragsrechtes in § 201 BAO durch das AbgRmRefG, BGBl. Nr. 97/2002).

Rechtssatz 3: § 201 BAO verfolgt das Ziel einer materiell rechtsrichtigen Besteuerung. Soweit bei der Anwendung dieser Bestimmung Ermessen eingeräumt ist, haben hierbei Bereicherungsüberlegungen außer Betracht zu bleiben.

Landes- und Gemeindeabgaben, Verwaltungsstrafangelegenheiten

Verkürzung der Gebrauchsabgabe - Ein Auswechseln der juristischen Person, für welche der verantwortliche Beauftragte einzustehen hat, ist auch noch im Beschwerdeverfahren möglich

  • § 9 Abs. 2 VStG
  • BFG vom 08.06.2022, RV/7500682/2021 (teilweise Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Soweit die Tatvorwürfe ausreichend konkret waren, den Beschuldigten in die Lage zu versetzen, sich gegen diese zu verteidigen, ist auch noch im Beschwerdeverfahren ein Auswechseln der juristischen Person, für die der verantwortliche Beauftragte nach § 9 Abs. 2 VStG einzustehen hat, möglich. Eine Haftungsinanspruch­nahme gem. § 9 Abs. 7 VStG der neuen Gesellschaft scheidet hingegen aus, da eine erstmalige Haftungs­inanspruchnahme im Beschwerdeverfahren nicht möglich ist (vgl. VwGH vom 26.11.2010, 2010/02/0011).

Parkometerabgabepflicht und Aufladen von Elektrofahrzeugen in einer E-Ladezone: Bindung des BFG an die Entscheidung betreffend Halteverbot

  • § 38 AVG, § 24 VStG, § 4 Wiener Parkometergesetz 2006, § 5 Wiener Parkometer-abgabeverordnung, § 4 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz 2006, § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, § 54 Abs. 5 lit. m StVO 1960
  • BFG vom 02.08.2022, RV/7500521/2021 (Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Die Frage, ob zum Zeitpunkt der Beanstandung ein Ladevorgang iSd § 54 Abs 5 lit m StVO 1960 im Gange war, stellt eine Vorfrage im Verwaltungsstrafverfahren betreffend Wiener Parkometerabgabe dar, da der Bestand der Verpflichtung zur Entrichtung der Parkometerabgabe und somit auch die - ohne Abgabepflicht nicht vorliegende - Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers von der Entscheidung dieser Frage abhängen (vgl. VwGH 24.1.2000, 97/17/0331, wonach die eine Bestrafung nach § 7 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 Salzburger ParkgebührenG 1989 aussprechende Behörde - soweit dies für die von ihr vorzunehmende rechtliche Beurteilung relevant sei - die Frage des Vorliegens einer "Ladetätigkeit" gemäß § 38 AVG iVm § 24 VStG zu beurteilen und den Begriff der "Ladetätigkeit" im Sinne der StVO zu interpretieren habe). Zur Entscheidung über diese Frage als Hauptfrage ist aber nicht das Bundesfinanzgericht, sondern das Verwaltungsgericht Wien zuständig.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 321

Parkometer-Zusatztafel als Ausnahmegenehmigung gilt nur während des Ladevorganges

  • § 4 Abs. 1 Wiener Parkometergesetz 2006, § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung
  • BFG vom 03.10.2022, RV/7500241/2022 (teilweise Stattgabe, Revision nicht zugelassen)

Da die Befreiung von der Parkometerabgabe während des Ladens eine Begünstigung darstellt, liegt es in der Sphäre des Beschwerdeführers (Bf.), die Voraussetzungen der Begünstigung auch tatsächlich einzuhalten und insbesondere ihr Vorliegen zu prüfen. Dies bedeutet, dass der Bf. spätestens bei der Beendigung des Ladevorganges beim Auto hätte sein müssen, um den Parkplatz zu verlassen.

In den Erläuterungen zu § 54 Abs. 5 lit. m StVO wird unter anderem ausgeführt, dass eine Förderung der Elektromobilität sowohl verkehrs- als auch umweltpolitisch wünschenswert ist. Mit Hilfe der neuen Zusatztafel soll ein Freihalten von Parkplätzen zum Zweck des Aufladens von Elektrofahrzeugen auf einfache Weise ermöglicht werden. Ist der Ladevorgang beendet, so kann diese Rechtswohltat nicht mehr in Anspruch genommen werden; das Elektrofahrzeug ist dann unverzüglich aus dem Halte- und Parkverbot zu entfernen.

Zoll

Keine Unbilligkeit nach Lage der Sache, wenn der Spediteur als Anmelder nicht mit der ordentlichen Sorgfalt eines Kaufmannes eingeschritten ist

  • § 83 ZollR-DG
  • BFG vom 04.04.2022, RV/7200019/2020 (Abweisung, Revision zugelassen)

Auf einen Erstattungsfall, der sich auf Eingangsabgaben bezieht, die vor dem 1.5.2016 entstanden sind, sind die materiellrechtlichen Bestimmungen des Art. 239 ZK anzuwenden. Art. 120 UZK, der die Regelungen des Art. 239 ZK im Wesentlichen übernommen hat, ist auf Sachverhalte, in denen die Zollschuld vor dem 1.5.2016 entstanden ist, nicht anzuwenden.

Festsetzung einer Verwaltungsabgabe gem. § 41 ZollR-DG iVm § 30 ZollR-DV

  • Art. 42 Abs. 1 UZK, § 30 ZollR-DV, § 41 ZollR-DG, § 101 Abs. 2 ZollR-DG, § 41 ZollR-DG
  • BFG vom 29.04.2022, RV/1200039/2018 (Abweisung, Revision zugelassen)

Gibt ein Anmelder im eigenen Namen aber für Rechnung einer anderen Person eine Zollanmeldung ab (indirekte Vertretung), ohne über eine dafür erforderliche Vertretungsmacht zu verfügen, gilt dieser Anmelder als in eigenem Namen und in eigener Verantwortung handelnde Person (falsus procurator). Die in dieser Zollanmeldung unrichtig erklärten Angaben betreffend die Person des Empfängers/Ausführers in Verbindung mit den falschen Angaben hinsichtlich der vom Anmelder vertretenen Personen, stellen Zollzuwider­handlungen iSd § 41 ZollR-DG iVm § 30 Abs. 1 Z 3 ZollR-DV dar, die – wenn nicht auf Grund der näheren Umstände des konkreten Einzelfalles von einer entschuldbaren Fehlleistung des Anmelders auszugehen ist – die Grundlage für die Festsetzung einer Verwaltungsabgabe (Sanktion iSd Art. 42 UZK) bilden.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 284

Einbringung in eine Deponie und Fehlen einer Genehmigung

  • § 3 Abs. 1a Z 4, 5 und 6 ALSaG
  • BFG vom 23.06.2022, RV/3200125/2014 (Abweisung, Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Erdaushub, der entweder die Annahmekriterien einer Inertabfalldeponie oder die Annahme­kriterien einer Baurestmassendeponie einhält, kann beitragsfrei in einer Deponie abgelagert werden, sofern die Deponie genehmigt ist.

Rechtssatz 2: Nach § 3 Abs 1a Z 1 ALSAG ist Abraummaterial steuerfrei, das beim Aufsuchen, Gewinnen, Speichern und Aufbereiten mineralischer Rohstoffe anfällt, sofern diese Tätigkeit dem Mineralrohstoffgesetz (MinroG), BGBl. I Nr. 38/1999, unterliegt. Im Sinne einer „objektiven wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung“ kommt es darauf an, ob der Zweck des Vorhabens primär das Gewinnen von mineralischen Rohstoffen ist; VwGH 12.9.2007, 2006/04/0122. Im Lichte dieses Prüfungsmaßstabs üben Unternehmen des Hoch- und Tiefbaus eine Tätigkeit nach dem MinroG jedenfalls nicht aus; Abraummaterial aus Tätigkeiten des Hoch- und Tiefbaues ist steuerpflichtig.

Kein Erlöschen der EUSt wegen Art. 124 Abs. 1 Buchstabe h UZK

  • Art. 71 RL 2006/112/EG, Art. 61 RL 2006/112/EG, Art. 79 Abs. 1 Buchstabe a UZK, Art. 124 Abs. 1 Buchstabe h UZK, Art. 2 Abs. 1 Buchstabe d RL 2006/112/EG
  • BFG vom 29.06.2022, RV/6200006/2018 (Abweisung, Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Ein im Unionsversand befördertes Fahrzeug scheidet aus dem externen Unionsversand-verfahren aus und geht in den Wirtschaftskreislauf der Union ein, wenn es ohne vorherige Gestellung bei einer Zollstelle in ein Unternehmen zum Zweck der Reparatur aufgenommen wird und dort durch den Austausch des Getriebes in einer (mit dem Versandverfahren nicht vereinbaren) Weise behandelt wird. Es wird dadurch mit der Ware so verfahren, als sei sie im zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr und damit einer inländischen Ware gleichgestellt.

Rechtssatz 2: Da die Mehrwertsteuersystemrichtlinie keine Bestimmung enthält, die das Erlöschen der Einfuhrumsatzsteuerschuld im Fall des Erlöschens der Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchstabe h UZK vorsieht, bleibt eine für eine Ware einmal entstandene Einfuhrumsatzsteuerschuld bestehen und ist das Erlöschen der Zollschuld insoweit ohne Bedeutung. Aus dem Urteil des EuGH vom 7.4.2022, Rs. C-489/20, UB, lässt sich ableiten, dass die Erlöschenstatbestände des Art. 124 UZK nicht auf die Einfuhrumsatzsteuer anwendbar sind.