BFG-Newsletter 2022/04

Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages wegen Beendigung des Lehrverhältnisses

  • § 26 Abs. 1 FLAG 1967
  • BFG vom 03.10.2022, RV/5100452/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Die Bestimmung des § 26 Abs. 1 FLAG 1967 normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls, wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich (VwGH 19.12.2013, 2012/16/0047).

Ein Bachelor- und daran anschließendes Masterstudium begründen keinen Anspruch auf Verlängerung der Familienbeihilfe bis zum 25. Lebensjahr gemäß § 2 Abs. 1 lit. j FLAG

  • § 2 Abs. 1 lit. j sublit. aa bis cc FLAG 1967
  • BFG vom 03.11.2022, RV/7102985/2019 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Das Masterstudium an einer Universität stellt gegenüber einem vorangegangenen Bachelorstudium ein eigenständiges Studium und eine eigene (weiterführende) Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit b FLAG dar, ebenso wie ein Fachhochschul-Masterstudiengang gegenüber einem vorangegangenen Fachhochschul-Bachelorstudiengang (VwGH 29. September 2011, 2011/16/0086).

Rechtssatz 2: Mit dem Abschluss eines Bachelorstudiums ist eine Berufsausbildung abgeschlossen, auch wenn daran anschließend oder später ein Masterstudium betrieben wird und der Studierende sich mit dem Masterstudium einer weiteren Berufsausbildung unterzieht. Im universitären Bereich lässt sich dies auch daraus ableiten, dass die Zulassung zu einem Bachelorstudium mit Abschluss des Studiums durch die positive Beurteilung bei der letzten vorgeschriebenen Prüfung erlischt. Für ein anschließendes Masterstudium ist ein eigener (neuer) Antrag auf Zulassung zum Studium zu stellen. Dabei ist vom Rektorat unter anderem das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen zu prüfen (vgl. VwGH 29. September 2011, 2011/16/0086).

Keine Berufsausbildung während eines "Stehsemesters"

  • § 33 Abs. 3 EStG 1988, § 31 Abs. 2 KBGG, § 26 FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, § 67 UG
  • BFG vom 22.11.2022, RV/7103126/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Zu dem zu § 31 Abs. 2 KBGG ergangenen Erkenntnis VfGH 28. 9. 2022, G 181/2022 ua ist festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof eine Rückforderungsvorschrift, die wie § 26 Abs. 1 FLAG 1967 lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellt, als in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich angesehen hat und dass anders als beim Kinderbetreuungsgeld mit dem Bezug von Familienbeihilfe durch einen Elternteil keine irreversible Disposition über dessen Berufstätigkeit verbunden ist. Im Geltungsbereich des § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ist daher weiterhin das Risiko einer irrtümlich gezahlten Leistung trotz fehlender Erkennbarkeit des Behördenfehlers vom Leistungsempfänger zu tragen.

Rechtssatz 2: Ein „Stehsemester“, in welchem eine für ein Semester geltende Pause vom normalen Studienbetrieb vereinbart wird, ist mit einer Beurlaubung nach § 67 UG 2002 zu vergleichen. Während der Beurlaubung nach dieser Bestimmung bleibt die Zulassung zum Studium aufrecht. Die Teilnahme an Lehrveranstaltungen, die Ablegung von Prüfungen sowie die Einreichung und Beurteilung wissenschaftlicher sowie künstlerischer Arbeiten ist jedoch unzulässig. Während einer Beurlaubung liegt hinsichtlich des Studiums, für das die Beurlaubung erfolgt ist, keine Berufsausbildung i. S. d. FLAG 1967 vor.

Einkommensteuer

Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten eines durch einen Brand zerstörten (vor 1.4.2012 erworbenen) Gebäudes bei Ermittlung der Immobilienertragsteuer - Einheitstheorie

  • § 30 EStG 1988
  • BFG vom 10.11.2022, RV/7102015/2016 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision).

Wird ein Gebäude zerstört, können die Anschaffungskosten von Grund und Boden und inzwischen zerstörten Gebäude dann bei der Veräußerung des Grund und Bodens abgezogen werden, wenn zum Zeitpunkt der Anschaffung des bebauten Grundstückes noch die Einheitstheorie wirksam war und Grund und Boden und Gebäude daher ein einheitliches Wirtschaftsgut dargestellt haben. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige für das zerstörte Gebäude eine Versicherungsentschädigung erhalten hat.

Ist ein in den Anschaffungskosten eines PKW (Tesla) enthaltenes Gratisstrombezugsrecht von den Anschaffungskosten abzuziehen?

  • § 20 Abs. 1 Z 2 lit. b EStG 1988, § 1 PKW-Angemessenheitsverordnung
  • BFG vom 28.09.2022, RV/5101481/2019 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/15/0043.

Der Wert des Vorteils des kostenlosen Ladens ist im Ankaufspreis eines PKW enthalten, weil jede Werbe- oder Rabattaktion zur Ankurbelung des Absatzes mit einem bestimmten Wert in die Preiskalkulation einfließt. Der Betrag für die Nutzung von Gratisstrom ist von den Anschaffungskosten abzuziehen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 339

Normverbrauchsabgabe

Keine Vergütungsantragsberechtigung für den ausländischen Kfz-Händler gemäß § 12a Abs. 1 NoVAG 1991

  • § 12a Abs. 1 TS 2 NoVAG 1991, § 260 Abs. 1 lit. a BAO, § 246 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 24.08.2022, RV/7102784/2021 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: § 12a Abs. 1 TS 2 NoVAG 1991 ist unter Berücksichtigung des 1. Teilstriches „durch den Zulassungsbesitzer selbst nachweisbar ins Ausland verbracht“ so auszulegen, dass die Antragsberechtigung dem inländischen befugten Kfz-Händler zukommt, der die Lieferung ins Ausland tatsächlich vornimmt.

Rechtssatz 2: Ein Beschwerdebegehren, das nur dann als erhoben gelten soll, wenn eine andere Gerichtsabteilung in einem anderen Verfahren zu einer der Bedingung entsprechenden Rechtsmeinung gelangen sollte, ist nicht zulässig.

Keine Vergütung der Normverbrauchsabgabe bei fehlendem Nachweis

  • § 12a Abs. 1 NoVAG 1991
  • BFG vom 18.07.2022, RV/7102319/2021 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Wenn die vorgelegten Beförderungsnachweise gemäß § 2 der VO BMF BGBl. Nr. 401/1996 mangelhaft sind, wurde der notwendige Nachweis nicht erbracht, dass der Liefergegenstand den Liefermitgliedstaat überhaupt physisch verlassen hat.

Rechtssatz 2: Im Fall von Vorliegen unrichtiger Angaben liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung vor und etwaige Vertrauensschutzregelungen sind nicht anwendbar.

Umsatzsteuer

Wiederaufnahme (Neuerungstatbestand); Vorsteuer bei Vermietung an einen nahen Angehörigen

  • § 25 Abs. 1 Z 2 BAO, § 1 UStG 1994
  • BFG vom 20.07.2022, RV/7103916/2018 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Mietverträge zwischen nahen Angehörigen sind nach der sog. "Angehörigenjudikatur" nur dann steuerlich anerkennungsfähig, wenn u.a. der Bestandgegenstand mit genügender Deutlichkeit fixiert ist. Ein Mietvertrag zwischen Mutter und Sohn über einzelne Räume eines Gebäudes, der auf einem (mündlich angenommenen) schriftlichen Vertragsanbot beruht, wobei diesem Vertragsanbot die Tatsache der bloß teilweisen Vermietung (und folglich auch die Bezeichnung der vermieteten Räume) nicht zu entnehmen ist, genügt diesen Anforderungen nicht.

Umsatzsteuer: Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts im Zusammenhang mit einem durch eine GmbH errichteten Einfamilienhaus, das an den Stifter der als Alleingesellschafterin fungierenden Privatstiftung vermietet wurde (fortgesetztes Verfahren)

  • § 8 Abs. 2 KStG 1988, § 12 Abs. 2 Z 2 lit. a UStG 1994
  • BFG vom 12.10.2022, RV/2101231/2020 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.

Rechtssatz 1: Ein Mietobjekt ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse den „Wohngebäuden, die schon ihrer Erscheinung nach (etwa besonders repräsentative Wohngebäude) bloß für die private Nutzung durch den Gesellschafter bestimmt sind“ zuzurechnen, wenn es dafür in der Stadt keinen funktionierenden Mietenmarkt gibt, das vereinbarte Nutzungsentgelt deutlich unter der Renditemiete liegt, der Mietzins im Beschwerdefall deutlich niedriger ist als ein mit der Vermietung von Eigentumswohnungen erzielbarer Mietzins, die (Netto-)Errichtungskosten ein Mehrfaches der durchschnittlichen Errichtungskosten betragen, der Baugrundstückspreis ein Mehrfaches des durchschnittlichen Baugrundstückspreises beträgt und die Lage zwar aus dem Privatnutzungsgesichtspunkt als sehr gut bis gut, aus (Fremd-)Vermietungsgesichtspunkten jedoch als mäßig zu bezeichnen ist.

Rechtssatz 2: Ein Vergleich mit den Beurteilungskriterien eines rationalen Kapitalanlegers war nicht anzustellen, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Vergleichsperson ein wirtschaftlich agierender, (nur) am Mietertrag interessierter Investor ist. Eine Wertsteigerung war – ebenso wie das Renditerisiko - nicht zu berücksichtigen, weil der Verwaltungsgerichtshof dem Bundesfinanzgericht im aufhebenden Erkenntnis bindend vorgegeben hat, dass „mit der Renditeerwartung eines „marktüblich agierenden Immobilieninvestors“ jene Rendite gemeint ist, „die üblicherweise aus dem eingesetzten Kapital durch Vermietung erzielt wird“.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 307

Umsatzsteuerpflicht der Leistungen eines Rechtsanwalts, der nahezu ausschließlich als vom Gericht bestellter Sachwalter tätig ist

  • Art. 132 Abs. 1 lit. g RL 2006/112/EG, § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, § 6 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 10.10.2022, RV/7100763/2017 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: VfGH-Beschwerde zur Zahl E 3172/2022 anhängig.

Leistungen eines Rechtsanwalts, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringt, sind nach dem UStG 1994 steuerpflichtig. Ob ein nahezu ausschließlich als vom Gericht bestellter Sachwalter tätiger Rechtsanwalt nach der Maßgabe der unmittelbar anwendbaren (vgl – zur Vorgängerbestimmung des Art 13 Teil A Abs. 1 lit g der Sechsten Richtlinie – EuGH 10.9.2002, C-141/00, Kügler) Befreiungsbestimmung des Art 132 Abs. 1 lit g MwStSystRL als Einrichtung mit sozialem Charakter anzuerkennen ist, ist anhand sämtlicher maßgeblicher Umstände zu prüfen (vgl VwGH 15.12.2021, Ra 2019/13/0025, Rn 36). Zwar sprechen das Bestehen spezifischer Vorschriften (vgl dazu VwGH 15.12.2021, Ra 2019/13/0025, Rn 37) und das mit der Tätigkeit des Sachwalters verbundene Gemeinwohlinteresse (vgl dazu VwGH 15.12.2021, Ra 2019/13/0025, Rn 38) dabei für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Da nach der im Streitzeitraum geübten allgemeinen Verwaltungspraxis weder (gemeinnützige) Sachwaltervereine noch andere Personen, die Sachwalterleistungen erbracht haben, als Einrichtungen mit sozialem Charakter iSd Art 132 Abs. 1 lit g MwStSystRL anerkannt und deswegen von der Umsatzsteuer befreit wurden, und nach der Maßgabe der einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen das Entgelt und die Entschädigung des Sachwalters nicht von öffentlichen Stellen, sondern grundsätzlich von der betroffenen Person selbst zu tragen sind, liegen im Ergebnis allerdings keine für die Annahme einer zwingenden unionsrechtlichen Umsatzsteuerbefreiung hinreichenden Anhaltspunkte vor.

In welchem Zeitraum kann der Vorsteuerabzug vorgenommen werden?

  • § 12 Abs. 1 UStG 1994, § 20 Abs. 2 UStG 1994
  • BFG vom 15.07.2022, RV/2100130/2022 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Das Recht auf Vorsteuerabzug ist grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (ständige Rechtsprechung des EuGH vom 29.4.2004, C-152/02; vom 15.9.2016, C-518/14; vom 21.3.2018, C-533/16). In diesem Sinne ist auch § 20 Abs. 2 Z 1 UStG 1994 auszulegen. Die abziehbaren Vorsteuerbeträge "fallen" grundsätzlich in den Veranlagungszeitraum, in dem sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, der Leistungsempfänger also auch eine Rechnung besitzt.

Verfahrensrecht

Ablehnung eines Richters wegen angeblicher Befangenheit

  • Art. 87 Abs. 3 B-VG, Art. 83 Abs. 2 B-VG, § 268 Abs. 1 BAO, Art. 6 EMRK, § 76 Abs. 1 BAO, Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union
  • BFG vom 18.10.2022, AO/5100013/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Bei Prüfung der Unbefangenheit ist zwar im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen, die Ablehnung soll jedoch nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines nicht genehmen Richters entledigen können. Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs. 3 B-VG) in Ergänzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs. 2 B-VG) gebietet eine ausgewogene Vorgangsweise bei der Ablehnung (vgl. zuletzt OGH 14.12.2021, 1Ob83/21v und zahlreiche gleichlautende Vorjudikatur).

Rechtssatz 2: Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive. Dass ein Richter anlässlich der Erledigung einer Beschwerde an der Rechtsauffassung, die in einer in der Sache ergangenen früheren Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt ist, festhalten wird, ist kein Befangenheitsgrund (vgl. OGH 29.06.2021, 15 Os 54/21m).

Rechtssatz 3: Weder die Unrichtigkeit einer Gerichtsentscheidung noch die Vertretung einer bestimmten Rechtsmeinung durch den Richter bildet einen Ablehnungsgrund; dies selbst dann, wenn die Rechtsansicht von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt wird. Meinungsverschiedenheiten in Rechtsfragen sind nicht im Ablehnungsverfahren auszutragen. Das Ablehnungsverfahren soll nicht die Möglichkeit bieten, dass sich Parteien eines ihnen nicht genehmen Richters entledigen können. (vgl. zuletzt OGH 27.01.2022, 2 Nc 35/21a; RS0111290 und zahlreiche gleichlautende Vorjudikatur).

Rechtssatz 4: Eine Besorgnis der Befangenheit läge erst dann vor, wenn die abgelehnte Richterin zu erkennen gegeben hätte, dass sie nicht bereit ist, die vertretene Rechtsansicht erneut selbst kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Meinung zu ändern. Die Einzelrichterin hat der beschwerdeführenden Partei die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, was auch die Möglichkeit zur Aktenergänzung durch Vorlage weiterer Unterlagen und Beweisanträge beinhaltete. Dadurch hat sie deutlich zu erkennen gegeben, dass Sie bereit ist, die Sache nach Vorliegen sämtlicher Beweise neu kritisch zu prüfen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 326

Beurteilung des mangelnden groben Verschuldens bei Festsetzung eines dritten Säumniszuschlages

  • § 217 BAO
  • BFG vom 10.11.2022, RV/5100465/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Maßgeblicher Beurteilungszeitraum für Feststellung, ob eine Nichtentrichtung von Abgaben entschuldbar iSd § 217 Abs. 7 BAO ist, ist beim zweiten und dritten Säumniszuschlag jener der lang andauernden Säumnis iSd. § 217 Abs. 3 BAO. Im gegenständlichen Fall ist daher entscheidend, ob die beschwerdeführende Partei kein grobes Verschulden an der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer(nach)forderungen nach Eintritt der Vollstreckbarkeit bzw. nach Eintritt der Verpflichtung des zweiten Säumniszuschlages trifft.

Rechtssatz 2: Die Pflicht zur Entrichtung von Abgaben endet erst mit Entrichtung (vgl. VwGH 22. 4. 2015, 2013/16/0208) oder Abschreibung (§§ 235, 236 BAO) der Abgabenschuldigkeiten. Sie trifft bei einer GmbH die Geschäftsführer (§§ 18 ff GmbHG), da diese die nach § 80 Abs. 1 BAO zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen sind.

Rechtssatz 3: Mit der Verhinderung des faktischen Geschäftsführers kann kein mangelndes grobes Verschulden der beschwerdeführenden Partei dargetan werden, da den faktischen Geschäftsführer keine Pflicht zur Erfüllung der Abgabenzahlungspflicht traf und damit seine Verhinderung in Bezug auf die Abgabenentrichtung nicht relevant ist. Zudem würde eine Behinderung der tatsächlichen Geschäftsführerin durch einen faktischen Geschäftsführer, der sie an der Entrichtung der Abgaben aus den vorhandenen Mitteln behindert, per se ein pflichtwidriges Verhalten darstellen (vgl. etwa VwGH 11. 3. 2010, 2010/16/0028). Eine derartige Einschränkung der gesetzlichen Vertreterin der GmbH durch einen faktischen Geschäftsführer wäre vielmehr eine grob schuldhafte Pflichtverletzung und steht der Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 217 Abs. 7 BAO entgegen.

Pensionsrückstellung: Keine mehrfache Gewinnerhöhung in einem Wirtschaftsjahr bei fortgesetzter Wertpapierunterdeckung

  • § 299 BAO, § 236 BAO, § 303 BAO, § 14 Abs. 6 EStG 1988, § 14 Abs. 7 EStG 1988
  • BFG vom 19.10.2022, RV/2100717/2022 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: VfGH-Beschwerde zur Zahl E 3275/2022 anhängig.

Rechtssatz 1: Die Abgabenbehörde hat die fehlende Wertpapierunterdeckung in den vorangegangenen Außenprüfungen unbeanstandet gelassen, was sie nicht daran hindert, diese Vorgangsweise für den Prüfungszeitraum 2014 bis 2016 als rechtswidrig zu beurteilen. Dass die Abgabenbehörde bei der angesprochenen letzten der drei Außenprüfungen mit der Frage der Wertpapierdeckungspflicht „aktiv auseinandergesetzt“ und diesen Punkt nach entsprechender rechtlicher Würdigung nicht weiterverfolgt hat, würde für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (in einem Verfahren, wo der Grundsatz Relevanz hat) nicht ausreichen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 341

Sicherstellung, Malversationen wurden bestritten, Bindung des BFG an Feststellungen im Urteil eines Strafgerichtes

  • § 232 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 20.10.2022, RV/7101323/2022 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht eine Bindung der Abgabenbehörden und des Bundesfinanzgerichts im Falle rechtskräftiger verurteilender Entscheidungen eines Strafgerichts, einer Finanzstrafbehörde oder des Bundesfinanzgerichts nach einem verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren an die Tatsachenfeststellungen, auf denen der Schuldspruch beruht, wozu auch jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt (VwGH 28.4.2021, Ro 2018/16/0001).

1. Verschulden an der Säumnis aufgrund manipulativer Fehlleistungen von Kanzleiangestellten
2. Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages beginnt ab vorwerfbarem Nichterkennen des Irrtums

  • § 308 BAO
  • BFG vom 13.10.2022, RV/7101651/2022 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Eine nur zufällige unglückliche Verkettung zweier -auf einem minderen Grad des Versehens beruhender- Fehlleistungen bei der manipulativen Durchführung der sorgfältig angeordneten und überwachten Versendung einer Beschwerde führt zu keinem eine Wiedereinsetzung ausschließenden Verschulden.

Rechtssatz 2: Die Frist zur Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Irrtum bei Einhaltung der gebotenen und zumutbaren Sorgfalt für den steuerlichen Vertreter erkennbar gewesen wäre. Ohne besondere Hinweise oder vorangegangene Fehlleistungen bestehen für einen Parteienvertreter keine Pflichten zur Kontrolle der ordnungsgemäßen manipulativen Durchführung einer sorgfältig angeordneten Versendung.

Haftung (§ 9 BAO): Insolvenzgerichtliche Entschuldung des Geschäftsführers ist bei der Ermessensentscheidung für die Haftungsinanspruchnahme durch Beschränkung des Haftungsausspruches auf die Quote zu berücksichtigen

  • § 9 Abs. 1 BAO, § 20 BAO
  • BFG vom 31.10.2022, RV/2100650/2022 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Im Falle des Zustandekommens einer insolvenzgerichtlichen Entschuldung des Geschäftsführers hat sich seine spätere Haftungsinanspruchnahme für zeitlich davor entstandene Abgabenschuldigkeiten der GmbH betragsmäßig an der Quote zu orientieren.

Nachsicht: Kein Entstehen einer Existenzgefährdung durch die Einhebung der antragsgegenständlichen Abgabe

  • § 2 Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, § 236 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 05.10.2022, RV/2100694/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Eine bereits vor Einhebung von nachsichtsantragsgegenständlichen Abgaben bestehende Existenzgefährdung schließt die Nachsicht gemäß § 236 BAO aus, weil sie an der bereits bestehenden Existenzgefährdung nichts mehr ändern würde.

Rechtssatz 2: Die vom Beschwerdeführer angeführten betrieblichen Zahlen belegen zwar das Bestehen von Schulden, nicht jedoch das Entstehen einer Existenzgefährdung durch die Einhebung der (nachsichtsantragsgegenständlichen) Abgabenerhöhung. Auch ist nicht zu erkennen, dass gerade die Nachsicht der Abgabenerhöhung das Entstehen der Existenzgefährdung verhindern würde.

Rechtssatz 3: Dass die Entrichtung der Abgabenerhöhung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme, hat der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet. Dass die Einhebung der Abgabenerhöhung mit ähnlich schwerwiegenden außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, stellt der Beschwerdeführer mit dem Vorbringen, die Liquidität seines Unternehmens sei „äußerst angespannt“, auch nicht dar.

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages (versäumte Verhandlung)

  • § 308 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 03.10.2022, RV/3100515/2022 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Ein berufsmäßiger Parteienvertreter handelt auffallend sorglos, wenn er vier Werktage vor dem Termin der mündlichen Beschwerdeverhandlung deren Verlegung fordert, ohne sich weiter darum zu kümmern, ob das Bundesfinanzgericht dieser Forderung nachkommt.

Entscheidung nach § 266 Abs. 4 BAO aufgrund unzureichender Aktenvorlage durch das Finanzamt

  • § 266 BAO
  • BFG vom 16.11.2022, RV/3100487/2022 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 2: Bei der Ermessensentscheidung, ob das Bundesfinanzgericht wegen unvollständiger Aktenvorlage aufgrund der Behauptungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist zu beachten, dass die Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken dürfen (vgl. VwGH 17.2.2004, 2002/06/0151).

Verfahrenshilfe an eine im Ausland aufhältige mitbeteiligte Partei

  • § 61 Abs. 5 VwGG, § 61 Abs. 1 VwGG, § 67 ZPO
  • BFG vom 31.10.2022, VH/7100013/2022 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Verfügt die Partei über keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, ist gemäß § 61 Abs. 1 VwGG auf die Regelung des § 67 ZPO zurückzugreifen und die Rechtsanwaltskammer Wien als nach dem Sitz des Prozessgerichts zuständige Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen.

Wiederaufnahme auf Antrag (keine Bindung an zivilgerichtliche Entscheidungen)

  • § 303 Abs. 1 lit. b BAO, § 303 Abs. 1 lit. c BAO
  • BFG vom 30.11.2022, RV/7102317/2021 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Wird in einem zivilgerichtlichen Verfahren auf Zuerkennung von Insolvenzentgelt die Klage des Arbeitnehmers wegen Sittenwidrigkeit abgewiesen bzw. wird der Arbeitnehmer in einem anderen zivilgerichtlichen Verfahren zur Rückerstattung erhaltener Gehaltszahlungen wegen Anfechtbarkeit i.S.d. §§ 27ff IO verhalten, liegt hierin kein Abspruch über das Bestehen oder Nichtbestehen der Gehaltsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber. Derartige zivilgerichtliche Urteile sind daher nicht geeignet, einen im Spruch anderslautenden Bescheid bzgl. Lohnabgaben herbeizuführen, weshalb sie eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung dieser Lohnabgaben nicht rechtfertigen. Dem Wiederaufnahmegrund des § 303 Abs. 1 lit. c BAO steht zudem entgegen, dass eine Bindung an zivilgerichtliche Entscheidungen wegen der dort herrschenden Parteienmaxime gemäß § 116 Abs. 2 zweiter Satz BAO nicht besteht, sodass diese den Vorfragentatbestand keinesfalls verwirklichen können.

Keine Aussetzung der Einhebung, wenn keine Bescheidbeschwerde eingebracht ist oder ein Nachforderungsbetrag festgesetzt wurde

  • § 274 BAO, § 212a BAO
  • BFG vom 15.02.2022, RV/6100169/2021 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Nach der Rechtsprechung des EGMR und – ihm folgend – des VfGH kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfSlg 18.994/2010, VfSlg 19.632/2012, VfGH 20.2.2015, B 1534/2013).

Rechtssatz 2: Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK kann im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren regelmäßig unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt (vgl. VfGH 14.3.2012, U466/11 ua).

Neuberechnung beim BFG anhängiger Säumniszuschläge nach Reduktion der diesbezüglichen Stammabgaben Wettgebühren durch das BFG liegt in der Zuständigkeit des BFG

  • § 217 Abs. 8 BAO, § 300 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 30.11.2022, RV/7105017/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Bei Anhängigkeit von Bescheidbeschwerden gegen die Stammabgaben und die darauf basierenden Säumniszuschläge beim BFG ist nach der Entscheidung des BFG in Form einer Reduktion oder Erhöhung der Stammabgaben die Neuberechnung der Säumniszuschläge nicht durch das Finanzamt, sondern das BFG vorzunehmen, weil gemäß § 300 Abs. 1 BAO ab Vorlage der Beschwerde die Zuständigkeit beim BFG liegt und das Finanzamt beim BFG angefochtene Bescheide bei sonstiger Nichtigkeit weder abändern noch aufheben kann. Dem § 217 Abs. 8 BAO wird zwar inhaltlich Rechnung getragen, er ist aber in solchen Fällen vom Finanzamt mangels Zuständigkeit nicht anzuwenden, weil das Bundesfinanzgericht im Erkenntnis über die Säumniszuschläge dessen Höhe bekannt geben muss und daher für dessen Berechnung zuständig ist.

Landes- und Gemeindeabgaben, Verwaltungsstrafangelegenheiten

Parkometerabgabe; verspäteter Antrag auf Verfahrenshilfe - Zurückweisung

  • § 40 Abs. 1 VwGVG
  • BFG vom 13.09.2022, VH/7500011/2022 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Ein Verfahrenshilfeantrag, der nach Ablauf der Beschwerdefrist für das Beschwerdeverfahren gestellt wird, ohne dass zuvor bereits rechtzeitig Beschwerde erhoben worden wäre, ist verspätet und damit als unzulässig zurückzuweisen (vgl VwGH 15.7.2015, Ra 2015/03/0049 zu der § 8a Abs. 7 VwGVG vergleichbaren Bestimmung des § 26 Abs. 3 VwGG).

Parkometerabgabe: die unmittelbar aufeinanderfolgende Kombination eines Gratisparkscheins mit kostenpflichtigen Parkscheinen ist nach der Wiener Kontrolleinrichtungenverordnung nicht erlaubt

  • § 9 Wiener Kontrolleinrichtungenverordnung, § 5 Abs. 1 VStG, § 5 Abs. 1 Wiener Parkometerabgabeverordnung, § 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, § 4 Wiener Kontrolleinrichtungenverordnung
  • BFG vom 05.12.2022, RV/7500507/2022 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Der Sinn des Verbotes der Kombination von 15-Minuten-Gratis-Parkscheinen mit anderen Parkscheinen und des Verbotes des zeitlichen Aneinanderreihens von 15-Minuten-Gratis-Parkscheinen (s. § 9 Wiener Kontrolleinrichtungenverordnung) liegt darin, die Überprüfbarkeit der Grundbedingungen des Gratisparkens sicherzustellen, nämlich die maximale Gratisabstellzeit von 15 Minuten. Bei einer länger als 15 Minuten dauernden Abstellzeit, wobei diese Möglichkeit vom Lenker bereits beim Abstellen einzukalkulieren ist, ist ab der ersten Minute des Abstellens ein entgeltlicher Parkschein nötig. Die Grundbedingungen des Gratisparkens wiederum dienen dazu, die Ziele der Parkraumbewirtschaftung zu erreichen: Rationierung der knappen Parkplätze und Einnahmenerzielung für die Stadt Wien. Auch eine "spätere" Abgabenentrichtung und ein dadurch dokumentierter und vom Bf. vorgebrachter Zahlungswille, hebt die bereits eingetretene Strafbarkeit nicht auf.

Zoll

Erstattung der Mineralölsteuer für Luftfahrtbetriebsstoffe

  • Art. 14 Abs. 1 Buchstabe b RL 2003/96/EG, § 4 Abs. 1 Z 1 MinStG 1995
  • BFG vom 14.12.2022, RV/7200037/2019 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Die Regelungen des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe b) der RL 2003/96/EG (EnStRL) sind so klar, genau und unbedingt, dass sie dem Einzelnen das Recht verleihen, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu berufen, um sich einer mit ihr unvereinbaren nationalen Regelung zu widersetzen. Wenn eine Unvereinbarkeit des § 4 Abs 1 Z 1 MinStG mit dem Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b) EnStRL festgestellt wird, oder die österreichischen Behörden die Steuerbefreiung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe b) EnStRL nicht umfassend anwenden, kann sich der in seinen Rechten Verletzte direkt auf diese Regelungen stützen.

Altlastenbeiträge: Beförderung von Abfällen nach § 3 Abs.1 Z 4 ALSaG

  • § 3 Abs. 1 Z 2 ALSaG, § 3 Abs. 1 Z 4 ALSaG, § 4 Abs. 1 Z 3 ALSaG, § 201 BAO
  • BFG vom 24.08.2022, RV/7200008/2022 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.
Beachte: VfGH-Beschwerde zur Zahl E 2703/2022 anhängig.

Das Befördern von Abfällen in die Slowakei zur endgültigen thermischen Verwertung durch Verbrennung ist in der Verantwortung der Bf. vorgenommen worden. Sie ist daher als Veranlasser der beitragspflichtigen Tätigkeit der Beförderung von Abfällen nach § 3 Abs.1 Z 4 ALSaG anzusehen. Die Selbstberechnung der Altlastenbeiträge erfolgte in richtiger Höhe. Die Voraussetzung für die Erlassung von Feststellungsbescheiden gemäß § 201ff BAO lagen somit nicht vor.

Altlastenbeitrag für Geländeanpassung

  • § 201 Abs. 4 BAO
  • BFG vom 30.08.2022, RV/5200009/2018 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Weil die zusammengefasste Festsetzung von mehreren Abgaben nach § 201 Abs. 4 BAO nur einheitlich beurteilt werden kann, ist ein Abgabenbescheid zu beheben, wenn eine für ein Kalenderjahr erfolgte zusammengefasste Festsetzung von Altlastenbeiträgen etwa auch Kalendervierteljahre umfasst, die keinen Anlass für eine bescheidmäßige Festsetzung nach § 201 BAO bieten.

Schmuggel von Schuhen aus der Schweiz nach Österreich; in Grenznähe ist das Standardwissen, dass man für Drittlandswaren ein Zollverfahren durchzuführen hat; Selbstanzeige nur dann strafbefreiend, wenn Abgaben unmittelbar aufgrund des Inhalts der Selbstanzeige berechnet werden können

  • § 29 Abs. 2 FinStrG
  • BFG vom 18.10.2022, RV/1300008/2015 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Ein Rechtsirrtum über die Voraussetzung einer Selbstanzeige steht der Strafbarkeit nicht entgegen (VwGH 28.10.2009, 2007/15/0126).

Rechtssatz 2: Straffreiheit durch Selbstanzeige tritt ua nur dann ein, wenn die zur Feststellung der Verkürzung bedeutsamen Umstände ohne Verzug offengelegt werden und der Verkürzungsbetrag ohne Verzug entrichtet wird (VwGH 28.6.2000, 97/13/0002).

Zusatztext: Gerade bei Selbstanzeigen iZm Schuhen wäre es erforderlich gewesen, genaue Angaben über die Beschaffenheit und Zusammensetzung der Schuhe bzw, detaillierte Angaben zu machen, damit schon daraus die Eingangsabgaben berechnet werden könnten.

Rechtssatz 3: Für eine strafbefreiende Selbstanzeige ist es erforderlich, dass nicht nur die Verfehlung an sich bekannt gegeben wird, sondern die Offenlegung der Umstände ohne Verzug, also die Nachholung seinerzeit unterlassener Angaben durch Vorlage entsprechender Unterlagen zugleich mit der Selbstanzeige erfolgt (vgl. VwGH 17.9.1986, 83/13/0033).

Rechtssatz 4: Die Selbstanzeigehandlung besteht darin, dass der Anzeiger die für die Feststellung der Verkürzung oder des Ausfalls bedeutsamen Umstände "offenlegt". Diese Offenlegung (§ 119 BAO), die zur Darlegung der Verfehlung hinzuzutreten hat, liegt, wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 22. 1. 1985, 84/14/0072, ÖStZB 1985, 278, dargelegt hat, nur insoweit vor, als dadurch der Behörde die Grundlage für eine sofortige richtige Entscheidung über den verkürzten Abgabenanspruch geliefert wird. Die Behörde muss aufgrund der wahrheitsgemäßen Angaben des Anzeigenden und der vorgelegten Unterlagen in der Lage sein, die Abgaben ohne langwierige eigene Ermittlungen zum Sachverhalt so festzusetzen, als wären die für die Verzollung erforderlichen Unterlagen von vornherein ordnungsgemäß abgegeben worden (VwGH 5.9.1985, 85/16/0049).
„Offenlegen“ ist umfassendes Aufklären, rückhaltloses Offenbaren der abgabenrechtlich bedeutsamen Tatsachen, deren Kenntnis für eine der Wahrheit entsprechende Abgabenerhebung bedeutsam und erforderlich ist (Stoll, BAO 1354).Vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen bedeutet, der Zollbehörde nicht nur ein richtiges und vollständiges, sondern auch ein klares Bild von den für die Abgabenerhebung maßgeblichen Umständen zu verschaffen (Ritz, BAO5 § 119 Rz 3; VwGH 20. 9. 1989, 88/13/0072; Lang/Hölzl in Tannert/Kotschnigg, FinStrG § 29, RZ 46). Zweck der Offenlegung und der an sie zu legende Beurteilungsmaßstab ist die Ermöglichung der raschen abgabenbehördlichen Festsetzung des verkürzten (Rückforderungs-)Anspruchs. Die Offenlegung der bedeutsamen Umstände hat daher bei Verkürzungsdelikten derart (zahlenmäßig) zu erfolgen, dass die Behörde ohne lange Nachforschungen die verkürzten Abgaben vorschreiben bzw wenn keine bescheidmäßige Festsetzung erfolgt, kontrollieren kann (VwGH 24. 2. 2000, 97/15/0170; Lang/Hölzl in Tannert/Kotschnigg, FinStrG § 29 RZ 47).

Postenlauf gem. § 108 Abs. 4 BAO bei Paketdienst

  • § 245 BAO, § 108 Abs. 4 BAO, § 260 Abs. 1 lit. b BAO, § 37 Abs. 5 ZollR-DG, § 37 Abs. 7 ZollR-DG, § 260 Abs. 1 lit. a BAO
  • BFG vom 07.11.2022, RV/7200062/2021 (Zurückweisung; Revision zugelassen)

Wird eine richtig adressierte und an die zuständige Behörde gerichtete Beschwerde nicht per Post (die Österreichische Post AG) sondern per Paketdienst (Postdiensteanbieter) befördert, kommt es für die fristgerechte Einbringung der Beschwerde (§ 245 Abs. 1 BAO) auf den Zeitpunkt des Einlangens bei der Behörde an. Im Gegensatz zur Beförderung durch die Post genügt es in diesen Fällen nicht, dass die Beschwerde am letzten Tag der Frist an den Postdiensteanbieter übergeben wurde, zumal die Bestimmungen des § 108 Abs. 4 BAO ausschließlich dann zur Anwendung kommen, wenn der betreffende Schriftsatz wirksam der Post (also der Österreichischen Post AG) übergeben wurde.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 381