BFG-Newsletter 2022/01

Vorabentscheidungsersuchen betreffend Familienbeihilfe und internationale Organisationen (hier: ICMPD, International Centre for Migration Policy Development)

  • Art. 1 lit. z VO 883/2004, Art. 3 VO 883/2004, Art. 2 VO 883/2004, Art. 11 VO 883/2004, Art. 67 VO 883/2004, Art. 68 VO 883/2004, Art. 1 Abs. 1 EUV, EU-Vertrag, Art. 4 EUV, EU-Vertrag, Art. 6 Abs. 1 und 3 EUV, EU-Vertrag, Art. 19 EUV, EU-Vertrag, Art. 18 Abs. 1 AEUV, § 53 FLAG 1967
  • BFG vom 31.12.2021, RE/7100002/2021 (Vorabentscheidung; Revision nicht zugelassen)

Frage 1: Ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung), dahin auszulegen, dass sie § 53 Abs 1 und 2 FLAG 1967 entgegensteht, der die unionsrechtliche soziale Koordinierung auf Beschäftigungsverhältnisse von Staatsbürgern des Raumes EU/EWR/Schweiz mit Internationalen Organisationen für anwendbar normiert bzw. die unionsrechtliche soziale Koordinierung auf solche Beschäftigungsverhältnisse erstrecken?

Frage 2: Ist die VO 883/2004 insbesondere deren Titel I und II, Art 67 und 68, dahin auszulegen, dass Staatsbürger des Raumes EU/EWR/Schweiz, die bei einer internationalen Organisation wie dem International Centre for Migration Policy Development beschäftigt sind, ebenso wie die internationale Organisation selbst nicht in den Geltungsbereich der VO 883/2004 fallen, sodass sich der Anspruch auf Familienleistungen dieser Beschäftigten nach dem Amtssitzabkommen bzw. einer anderen völkerrechtlichen Rechtsgrundlage bestimmt?

Frage 3: Ist das Unionsrecht dahin auszulegen, dass internationale Organisationen dem Unionsrecht nicht unterfallen?

Frage 4: Ist das Unionsrecht dahin auszulegen, dass es einer Norm wie § 53 Abs 1, 2 und 4 FLAG 1967 entgegensteht, dessen Absätze bezwecken, den primärrechtlichen Begriff der Nichtdiskriminierung gemäß Art 18 AEUV sowie unbestimmte Teile der VO 883/2004 ins mitgliedstaatliche Recht zu transformieren und den Inhalt einer anderen Norm des FLAG klarzustellen (Absatz 1) und sodann dieses auf internationale Organisationen zu erstrecken (Absatz 2) sowie den primärrechtlichen Begriff der Nichtdiskriminierung gemäß Art 18 AEUV zu modifizieren und damit die Indexierung der Familienbeihilfe zu tragen (Absatz 4)?

  1. Frage 4 wird, soweit sie § 53 Abs 4 FLAG 1967 betrifft, auch als Vorlagefrage zum beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchen C-574/20 (RE/7100004/2020 vom 21.10.2020) gestellt.
  2. Die endgültige Entscheidung über die zur Zahl RV/7104199/2015 anhängige Beschwerde ist bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs gemäß § 290 Abs 2 Bundesabgabenordnung ausgesetzt.

Frühestmöglicher Beginn eines Studiums im Vereinigten Königreich

  • § 2 Abs. 5 FLAG 1967, § 2 Abs. 2 FLAG 1967, § 26 BAO, § 2 Abs. 1 lit. d FLAG 1967
  • BFG vom 12.01.2022, RV/7103502/2019 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Gemäß § 2 Abs. 5 FLAG 1967 gehört zum Haushalt einer Person dann ein Kind, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt, wobei die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt, wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält. Das Gesetz kennt kein Kriterium für eine Mindestdauer einer Haushaltszugehörigkeit.

Rechtssatz 2: Ein bloß vorübergehender Aufenthalt i.S.v. § 2 Abs. 5 FLAG 1967 liegt nicht vor, wenn eine Dauer von sechs Monaten überschritten wird.

Rechtssatz 3: Das Studium an einer Universität im Vereinigten Königreich wird zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Schulausbildung begonnen, wenn eine Bewerbung für ein Universitätsstudium frühestens ab dem der Beendigung der Schulausbildung folgenden November möglich war und das gewählte Studium frühestens im Oktober des auf die Beendigung der Schulausbildung folgenden Jahres begonnen werden konnte, und das Kind alle für den Studienbeginn erforderlichen Schritte zeitgerecht gesetzt hat.

Haushaltszugehörigkeit: Die von der Tochter zum Zwecke der Berufsausbildung (Studium) in Wien benützte Wohnung führt nicht dazu, dass die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Mutter und Tochter als aufgelöst zu betrachten ist

  • § 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967, § 2 Abs. 2 FLAG 1967, § 2 Abs. 5 FLAG 1967
  • BFG vom 26.01.2022, RV/7101914/2016 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Für die meisten Studenten an einer Universität ist es – anders als bei den meisten Lehrlingen, Schülern, Studenten an einer Fachhochschule oder Berufstätigen - aufgrund der langen vorlesungsfreien Zeiten (Weihnachts-, Oster-, Semester- und Sommerferien), fallweise geblockt abgehaltener Lehrveranstaltungen und der fehlenden Anwesenheitspflicht beim Besuch vieler Vorlesungen relativ einfach möglich, von einem Zweitwohnsitz in der Nähe der Universität zu einem nicht weit (rund eine Stunde) entfernten Familienwohnsitz regelmäßig auch unter der Woche zurückzukehren.

Rechtssatz 2: Verfügt die Tochter nur über eine kleine Wohnung in Wien, die sie unter der Woche zur leichteren Erreichbarkeit der Universität nützt, kehrt sie aber an den Wochenenden sowie an Feiertagen und in der vorlesungsfreien Zeit (fünf Monate: Juli bis September, Weihnachts-, Oster- und Semesterferien) in den Haushalt der Mutter außerhalb von Wien zurück, und wird an den Wochenenden von der Mutter beispielsweise die Wäsche gewaschen und für die Tochter gekocht, ist die Tochter bei der Mutter haushaltszugehörig, auch wenn sie nicht nur unter der Woche, sondern auch gelegentlich in den Ferien und fallweise am Wochenende in Wien genächtigt hat.

Rechtssatz 3: Gehört die Tochter zum Haushalt der Mutter, ist nicht mehr zu prüfen, ob der Vater die überwiegenden Kosten des Unterhalts der Tochter getragen hat. Eine allenfalls gegebene Überalimentation der Tochter durch die Unterhaltsleistungen von Mutter und Vater vermag an der gegebenen Haushaltszugehörigkeit der Tochter zum Haushalt der Mutter nichts zu ändern.

AMS-Training kann Berufsausbildung sein

  • § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
  • BFG vom 02.02.2022, RV/7105412/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Dient ein vom AMS gefördertes Training dazu, die fachliche Qualifikation für die Ausübung eines konkreten angestrebten Berufes zu erlangen und nimmt es die überwiegende Zeit in Anspruch, liegt - anders als bei allgemeinen Qualifizierungsmaßnahmen des AMS - Berufsausbildung i.S.d. FLAG 1967 vor.

Familienbeihilfenanspruch im Falle des Abbruches des Studiums während des ersten Jahres

  • § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967
  • BFG vom 13.01.2022, RV/5101568/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Da detaillierte Nachweise im ersten Studienjahr, ob und wie in einem bestimmten Monat studiert wird, nicht erbracht werden können, gilt für den Bereich der Einrichtungen nach § 3 des Studienförderungsgesetzes die Aufnahme als ordentlicher Hörer als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Im Falle eines Studienabbruchs nach zwei Monaten kann daher nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass überhaupt kein Studium betrieben worden sei. Dies wäre nur der Fall, wenn über die Aufnahme als ordentlicher Hörer hinaus von vorneherein keinerlei Aktivität in Richtung eines Studiums gesetzt wird. Dann läge überhaupt keine Berufsausbildung vor (vgl. VwGH 30.06.2016, Ro 2015/16/0033; VwGH 25.04.2016, Ra 2014/16/0006).

Zusatztext: siehe RV/3100320/2020

Österreichische Familienleistungen bei Bezug einer Rente (Pension) in Slowenien und in Österreich

  • Art. 67 VO 883/2004, Art. 68 VO 883/2004, Art. 7 VO 883/2004, Art. 28 Abs. 2 EWR-Abkommen, Art. 68 Abs. 2 VO 883/2004, § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004, Art. 7 VO 883/2004, § 2 FLAG 1967, Art. 45 Abs. 2 AEUV, Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004, § 53 FLAG 1967
  • BFG vom 26.01.2022, RV/7101391/2021 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Die Auffassung, dass im Fall eines Rentenbezugs auf Grund der Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Staaten der Wohnortstaat des Kindes zur Erbringung von Familienleistungen zuständig ist, ist zutreffend. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Ansicht, dass Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004 nicht anwendbar sei, wenn eine einzige Person in der Familie erwerbstätig oder Rentenbezieher ist, „da Personen nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen können und somit auch keine Zahlung des Unterschiedsbetrages (wie im Fall von unterschiedlich zuständigen Staaten von Kindesmutter und Kindesvater) möglich ist.“

Rechtssatz 2: Art. 68 VO 883/2004 ist auch dann anwendbar, wenn einer einzigen Person Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedgliedstaaten zu gewähren sind. Es ist keineswegs erforderlich, dass zwei Personen, etwa Mutter und Vater, Familienleistungen zu gewähren sind, um die vorrangige oder nachrangige Leistungsverpflichtung eines Mitgliedstaats auszulösen. Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 regelt, dass unionsrechtlich immer nur ein Mitgliedstaat vorrangig zu einer Leistungserbringung verpflichtet sein kann, es also hinsichtlich einer Person nicht gleichzeitig zwei Mitgliedstaaten geben kann, die vorrangig zu Familienleistungen verpflichtet sind. Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004 normiert aber keineswegs, dass ein Mitgliedstaat in Bezug auf Familienleistungen vollkommen leistungsfrei wäre, nur weil eine Person nach den Regelungen der Art. 11 ff. VO 883/2004 unter die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats fällt.

Rechtssatz 3: Es widerspräche den Grundsätzen der Union, dem Unionsrecht einen Inhalt zuzusinnen, der einen Wanderarbeitnehmer von Leistungen der sozialen Sicherheit in einem Mitgliedstaat ausnimmt, dessen Sozialsystem der Wanderarbeitnehmer durch seine Beiträge mitfinanziert hat.

Rechtssatz 4: Zahlen zwei Mitgliedstaaten eine Rente, bestehen Ansprüche des Rentenempfängers gegen beide Mitgliedstaaten. Der Rentenempfänger hat nicht Anspruch auf Familienleistungen beider Rentenstaaten zusammen, sondern gemäß Art. 68 VO 883/2004 insgesamt auf jene Familienleistung, die höher ist – sei es auf die höhere Leistung des vorrangig zuständigen Staats, sei es auf die höhere Leistung des nachrangig zuständigen Staates abzüglich der niedrigeren Leistung des vorrangig zuständigen Staates. Der Rentenempfänger muss sich aber nicht mit den niedrigeren bzw. gar nicht gegebenen Familienleistungen des Mitgliedsstaats begnügen, dessen Rechtsvorschriften gemäß Art. 11 VO 883/2004 anzuwenden sind. Die Antikumulierungsvorschriften sollen dem Empfänger der von mehreren Mitgliedstaaten gezahlten Leistungen einen Gesamtbetrag an Leistungen garantieren, der gleich dem Betrag der günstigsten Leistung ist, die ihm nach dem Recht nur eines dieser Staaten zusteht.

Rechtssatz 5: Unter Zugrundelegung der anzuwendenden Wohnortfiktion nach Art. 5 VO 883/2004 und Art 67 VO 883/2004 hat ein in Slowenien wohnhafter slowenischer Staatsbürger, der eine Rente sowohl von Slowenien als auch von Österreich bezieht, für sein in Slowenien wohnhaftes minderjähriges oder in Berufsausbildung befindliches Kind Anspruch auf österreichische Familienleistungen gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 bzw. § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967. Nach nationalem Recht ist es unerheblich, ob der Anspruchsberechtigte für die Familienbeihilfe erwerbstätig ist oder nicht; die Anspruchsvoraussetzungen des Mittelpunkts der Lebensinteressen des Antragstellers (§ 2 Abs. 8 FLAG 1967) und des nicht ständigen Auslandsaufenthalts des Kindes (§ 5 Abs. 3 FLAG 1967) sind unionsrechtlich gegeben.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 60

Einkommensteuer

Außergewöhnliche Belastungen mit und ohne Selbstbehalt bei mehrfacher Behinderung

  • Einschätzungsverordnung, § 1 Abs. 1 Außergewöhnliche Belastungen, § 1 Abs. 2 Außergewöhnliche Belastungen, § 34 Abs. 6 EStG 1988, § 35 Abs. 1 EStG 1988
  • BFG vom 14.12.2021, RV/5100503/2020 (Abänderung; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision).

Das Maß der Minderung der Erwerbsfähigkeit legt ein Bescheid des Sozialministeriumsservice unter Anwendung der Einschätzungsverordnung in einer Gesamtschau fest. Dabei wird ausgehend von einer Leiterkrankung bestimmt, wie hinzutretende minder schwere Behinderungen das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit beeinflussen. Da also das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit der weiteren Leiden nicht einfach zur stärksten Behinderung hinzuaddiert werden, bleibt kein Raum den Grad der Behinderung in noch kleinere Elemente zu zerteilen, welche in der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung enthalten sind. Es sind daher alle Aufwendungen in Hinblick auf Leiden, welche im Bescheid des Sozialministeriumsservice über das Maß der Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens gesamt 25% genannt sind, ohne Selbstbehalt als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, auch wenn das einzelne aus der Gesamtschau herausgenommene Leiden für sich allein betrachtet eine mindestens 25%-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht erreichen würde.

Pensionsrückstellung: Wertpapierdeckungserfordernis einer Körperschaft für eine bei Einbringung eines BgA mit dem Buchwert übernommene Pensionsrückstellung?

  • § 14 Abs. 7 Z 1 EStG 1988, § 14 Abs. 11 EStG 1988, § 18 Abs. 1 Z 4 UmgrStG, § 14 Abs. 11 EStG 1988, § 16 Abs. 1 UmgrStG, § 14 Abs. 8 EStG 1988
  • BFG vom 28.02.2022, RV/2100727/2019 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Das Wertpapierdeckungserfordernis findet seine Rechtfertigung (nur) darin, die Besicherung der durch die Rückstellung zum Ausdruck gebrachten ungewissen Verbindlichkeiten zu bewirken, also den künftigen Gläubigern (Arbeitnehmern) eine Sicherheit in Form eines Wertpapierstockes zu bieten (vgl. VfGH 06.10.2006, G 48/06, wonach die Verknüpfung einer steuerlichen Rückstellungsbildung im Bereich des Sozialkapitals mit einer Wertpapierdeckung dann unbedenklich sein, wenn sie eine solche Besicherung bewirkt). Um dem zu entsprechen, normiert § 14 Abs. 7 Z 1 EStG 1988 idF Budgetbegleitgesetz 2007 im letzten Satz ausdrücklich, dass Wertpapiere oder Ansprüche aus Rückdeckungsversicherungen, soweit sie nicht ausschließlich der Besicherung von Pensionsanwartschaften oder Pensionsansprüchen dienen, das Deckungserfordernis nicht erfüllen.

Rechtssatz 2: Der Ausnahmeregelung vom Wertpapierdeckungserfordernis für Betriebe gewerblicher Art (§ 14 Abs. 11 EStG 1988) liegt der gesetzgeberische Gedanke zugrunde, dass eine Besicherung von Pensionsverpflichtungen von Körperschaften öffentlichen Rechts nicht erforderlich ist.

Rechtssatz 3: Die Beschwerdeführerin war im Rahmen der Buchwerteinbringung zur Fortführung der Pensionsrückstellung verpflichtet, wobei auch die Rechtswirkung der Ausnahmeregelung (§ 14 Abs. 11 EStG 1988) auf die Beschwerdeführerin übergegangen ist, weil die Pensionsleistungsverpflichtungen bei der Stadtgemeinde verblieben sind, sodass die notwendige Rechtfertigung des Wertpapierdeckungs-erfordernisses, die Besicherung der durch die Rückstellung zum Ausdruck gebrachten ungewissen Verbindlichkeiten zu bewirken, also den künftigen Gläubigern (Arbeitnehmern) eine Sicherheit in Form eines Wertpapierstockes zu bieten, nicht vorliegt.

Rechtssatz 4: Die Fortführung einer Pensionsrückstellung im Rahmen der Buchwerteinbringung (§ 16 Abs. 1 UmgrStG) stellt, auch wenn die Beschwerdeführerin mit der Stadtgemeinde eine Ersatzleistungsverpflichtung vereinbart hat, keine dem Wortlaut der Bestimmung entsprechende Bildung einer Rückstellung für Zusagen von Kostenersätzen für Pensionsverpflichtungen eines Dritten dar. Es liegt im Beschwerdefall auch keine dem Normzweck des § 14 Abs. 8 EStG 1988 entsprechende Umgehung des Wertpapierdeckungserfordernisses vor.

Steuerfreie Überstundenzuschläge in der Entlohnung von Bundeslehrern?
Ist die Bildungsdirektion steuerrechtliche Arbeitgeberin der Bundeslehrer?

  • § 68 Abs. 2 EStG 1988, § 85 Abs. 1 EStG 1988
  • BFG vom 10.01.2022, RV/4100668/2019 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.

Rechtssatz 1: In der Entlohnung für Normalüberstunden von Bundeslehrern ist kein nach § 68 Abs. 2 EStG begünstigungsfähiger Zuschlag enthalten.

Rechtssatz 2: Die Bildungsdirektion hat als öffentliche Kasse steuerliche Rechtssubjektivität. Haftungs-bescheide nach § 82 EStG 1988 sind an sie zu richten.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 55

Finanzstrafrecht

1. Verdacht von Abgabenhinterziehungen aufgrund umfangreicher Finanzierungslücken bei der Lebenshaltungskostenrechnung betreffend einen Wohnwagenhändler, welcher sich zuvor im Zuge einer Außenprüfung geweigert hatte, dem Prüfer Kontenstände bekannt zu geben;
2. Ausmaß der zulässigen Anordnungen des Spruchsenatsvorsitzenden nach § 99 Abs. 6 FinStrG

  • § 195 StPO, § 54 Abs. 5 FinStrG, § 202 Abs. 1 FinStrG, § 193 Abs. 2 Z 2 StPO, § 98 Abs. 4 FinStrG, § 57 Abs. 5 FinStrG, § 99 Abs. 6 FinStrG
  • BFG vom 25.08.2021, RV/2300001/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Nach Einstellung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens nach § 202 Abs. 1 FinStrG verbleibt eine finanzstrafbehördliche Zuständigkeit zur Führung des Finanzstrafverfahrens bis zur allfälligen Entscheidung der Staatsanwaltschaft, seine Ermittlungen in der Finanzstrafsache fortzusetzen, auch wenn zwischenzeitlich laut Aktenlage das Ausmaß der hinterzogenen Abgaben bereits die Gerichtsgrenze des § 53 FinStrG überschritten hat.

Rechtssatz 2: Der Spruchsenatsvorsitzende ist berechtigt, zur Abklärung einer Lebenshaltungs-kostenrechnung betreffend einen Beschuldigten auch den vorgeworfenen Verkürzungen vorangehende Zeiträume zum Gegenstand von Bankauskünften nach § 99 Abs. 6 FinStrG zu machen, soweit dies zur Feststellung der Vermögenslage am Beginn des Berechnungszeitraumes erforderlich ist. Fehlt dieser Zusammenhang, ist eine Anforderung von Bankauskünften für weiter zurück liegende Zeiträume unzulässig; dennoch angeforderte Informationen unterliegen einem Verwertungsverbot nach § 98 Abs. 4 FinStrG.

Grob fahrlässige Verkürzung von Altlastenbeiträgen;
keine Änderung des Tatzeitraumes im Rechtsmittelverfahren;
Strafbemessung

  • § 161 Abs. 1 FinStrG
  • BFG vom 27.09.2021, RV/7300045/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Das Bundesfinanzgericht ist verpflichtet, bei seiner Entscheidung auf die während des Rechtsmittelverfahrens festgestellten Tatsachen Bedacht zu nehmen und dementsprechend den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides hinsichtlich des Umfanges des Verdachtes, somit hinsichtlich Höhe und (hier) Zeitraum der Abgabenverkürzungen zu korrigieren. Von einer solchen Korrektur kann aber dann nicht gesprochen werden, wenn der Verdacht auf eine Abgabenverkürzung für einen bestimmten Zeitraum im Ergebnis erstmals im Beschwerdeverfahren ausgesprochen wird. Dem Bundesfinanzgericht steht es nicht zu, in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, einen Sachbescheid (im Ergebnis erstmals) zu erlassen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2008/15/0098).

Aufhebung und Zurückverweisung einer Finanzstrafsache infolge eingetretener Gerichtszuständigkeit

  • § 53 Abs. 1 FinStrG, § 54 Abs. 1 Satz 1 FinStrG
  • BFG vom 27.10.2021, RV/5300018/2017 (Zurückverweisung; Revision nicht zugelassen)

1. Auch, wenn dem schöffengerichtlichen Finanzstrafverfahren im Verhältnis zum verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren kein Anwendungsvorrang einzuräumen ist (siehe bereits die diesbezügliche Rspr des UFS; siehe auch den Wegfall von § 54 Abs. 4 Satz 2 FinStrG gemäß BGBl. 2018/62 mit Wirkung ab dem 15. August 2018), ist dennoch eine sich erst in einem Beschwerdeverfahren vor dem BFG neu ergebende Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Verhängung eines Strafbescheides (verbleibend) relevant.

2. Die gerichtliche Zuständigkeit ist in jeder Lage des Finanzstrafverfahrens wahrzunehmen, und zwar auch dann, wenn die einzelnen Verfahren nicht gemäß § 61 Abs. 1 FinStrG miteinander verbunden waren oder teilweise bereits vor dem Bundesfinanzgericht geführt werden.

3. Ihre Grenze findet diese Berücksichtigung einer gerichtlichen Zuständigkeit im Rechtsmittelverfahren lediglich in einer eingetretenen Rechtskraft hinsichtlich einzelner Fakten (siehe bereits UFS 20.5.2005, FSRV/0005-S/04) oder auch hinsichtlich des gesamten Schuldspruches (bereits UFS 16.3.2010, FSRV/0009-L/07); ebenso dann, wenn zwar der Schuldspruch noch nicht rechtskräftig wäre, die anlässlich des Beschwerdeverfahrens durch das BFG entdeckten Fakten aber noch nicht Verfahrensgegenstand sind (bereits UFS 2.4.2010, FSRV/0015-K/08).

Illegaler Zigarrenhandel, aber keine Verurteilung wegen des Eigenverbrauchs;
fortgesetztes Delikt, daher Beginn der absoluten Verjährung ab letzter Teiltat

  • § 31 Abs. 1 FinStrG, § 31 Abs. 5 FinStrG, § 33 Abs. 1 FinStrG, § 44 Abs. 1 FinStrG
  • BFG vom 17.11.2021, RV/2300002/2021 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Bei einem fortgesetzten Delikt ist die Verjährungsfrist unabhängig davon, wann die strafbare Tätigkeit begonnen hat, sie ist erst von dem Zeitpunkt an zu berechnen, an dem diese Tätigkeit abgeschlossen wurde (VwGH 24.4.1974, 0320/73); auch die Frist für die absolute Verjährung beginnt bei fortgesetzten Erfolgsdelikten erst mit dem Eintritt des Erfolgs des letzten Teilakts (vgl. VwGH 27.07.1994, 90/14/0099; VwGH 29.01.1991, 89/14/0073).

Rechtssatz 2: Für die Beurteilung, ob ein Fortsetzungszusammenhang vorliegt, ist nicht allein die Gleichartigkeit der Verübung und der gleiche Zweck der Handlungen maßgebend, es kommt auch darauf an, dass sich die einzelnen Akte nur als Teilhandlungen eines Gesamtkonzepts darstellen. Entscheidend ist, dass die einzelnen Tathandlungen von einem einheitlichen, auf die Verkürzung von Abgaben durch mehrere Jahre hindurch gerichteten Willensentschluss (Gesamtvorsatz) getragen werden (VwGH 04.09.1992, 91/13/0021 sowie VwGH 25.06.1998, 96/15/0167).

Kontoregisterabfrage als Ermittlungsmaßnahme der Finanzstrafbehörde, kein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

  • Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, § 152 Abs. 1 Satz 1 FinStrG, § 152 Abs. 1 FinStrG
  • BFG vom 23.11.2021, RM/7300005/2021 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Eine Kontoregisterabfrage nach § 4 Abs. 1 Z 2 Kontenregistergesetz ist eine Ermittlungsmaßnahme der Finanzstrafbehörde, die gemäß § 152 Abs. 1 zweiter Satz FinStrG nicht gesondert mit Beschwerde anfechtbar ist. Bei einer Einsichtnahme in diese Datenbank liegt kein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt der Finanzstrafbehörde vor.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2021, 406

Verjährung der Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Beteiligung an einer Verkürzung von Tabaksteuer und Eingriffen in Monopolrechte nach §§ 33 Abs. 1, 44 Abs. 1 FinStrG, wenn im Zuge einer noch innerhalb der Verjährungsfrist gesetzten Verfolgungshandlung der Finanzstrafbehörde stattdessen der Vorwurf einer Beteiligung an einem Schmuggel mit (unverzollten) Zigarren erhoben worden war

  • § 31 Abs. 2 FinStrG, § 33 Abs. 1 FinStrG, § 35 Abs. 1 FinStrG, § 44 Abs. 1 FinStrG
  • BFG vom 11.01.2022, RV/2300003/2021 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Erfolgt zunächst im Jahre 2013 eine Verfolgungshandlung der Finanzstrafbehörde wegen des Verdachtes eines schuldhaften Beitrages zu vorschriftswidrigem Verbringen von (unverzollten) Zigarren in das Zollgebiet der Union in den Jahren 2005 bis 2011 (§ 35 Abs. 1 FinStrG) und wird gegenüber dem Täter erstmals anlässlich einer Beschuldigtenvernehmung im Jahre 2018 der Vorwurf der vorsätzlichen Beteiligung an Verkürzungen von Tabaksteuer und an Eingriffen in Monopolrechte nach §§ 11, 33 Abs. 1, 44 Abs. 1 FinStrG erhoben, wobei tatsächlich verzollte Zigarren von Deutschland nach Österreich verbracht wurden, besteht keine ausreichende Übereinstimmung des Tatvorwurfes, sodass hinsichtlich der Abgabenhinterziehung und des Monopolvergehens eine Verjährung der Strafbarkeit nach § 31 Abs. 1 FinStrG eingetreten ist.

Körperschaftsteuer und Umgründungen

1. Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit Anteilsverkauf - steuerfreie Beteiligungserträge oder Teil des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns
2. Zulässigkeit einer Rückstellung für Nachschussverpflichtungen an ein Pensionsinstitut in Form von Eventualleistungen (eingeschränkte Garantie bei mangelndem Veranlagungserfolg) und in Form von anteiligen Sonderbeiträgen

  • § 10 Abs. 1 KStG 1988, § 21 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 15.12.2021, RV/5100932/2018 (in der Findok nicht veröffentlicht gemäß § 23 Abs. 3 BFGG) (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.

Werden Anteile an einer Kapitalgesellschaft verkauft und behält sich der Verkäufer anlässlich der Veräußerung vor, dass ihm noch nach Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums ausgeschüttete Dividenden, die auf das Wirtschaftsjahr bis zum Veräußerungszeitpunkt entfallen, zukommen sollen, so sind diese bei ihm als ein im abgekürzten Zahlungsweg entrichteter Anteilskaufpreis zu qualifizieren (siehe Kirchmayr, Besteuerung von Beteiligungserträgen, Wien 2004, 148f). Die Dividenden sind beim Erwerber als wirtschaftlichem Eigentümer der Anteile im Zeitpunkt der Beschlussfassung als steuerfreie Beteiligungserträge gemäß § 10 Abs. 1 KStG 1988 zu erfassen.

Keine Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 26c Z 47 KStG 1988 bei einer umgründungsbedingt entstandenen Firmenwertabschreibung

  • § 26c Z 47 KStG 1988
  • BFG vom 07.03.2022, RV/5100970/2018 (Abweisung; Revision zugelassen)

Wenn sich der steuerliche Vorteil aus der Zulässigkeit einer umgründungsbedingt entstandenen Firmenwertabschreibung nicht auf die Ermittlung des objektiven Unternehmenswertes auswirken konnte, somit auch keine abstrakte Beeinflussung der Gegenleistung möglich war, konnte der Erwerber, im gegenständlichen Fall die übernehmende Körperschaft, nicht zweifelsfrei davon ausgehen, dass für diese Beteiligung die Firmenwertabschreibung zusteht. Die Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 26c Z 47 KStG 1988 ist daher nicht zulässig.

Berechnung des Sonderbeitrages zur Stabilitätsabgabe nach StabAbgG für das Jahr 2014

  • § 7a Abs. 1 StabAbgG, § 7b Abs. 2 StabAbgG
  • BFG vom 13.01.2022, RV/4100017/2016 (Abweisung; Revision zugelassen)

§ 7a Abs 1 iVm § 7b Abs 2 StabAbgG derogieren hinsichtlich der Berechnung des Sonderbeitrages für das Kalenderjahr 2014 der Regelung des § 7 Abs 2 leg cit, weil die beiden vorgenannten Gesetzesstellen als lex specialis gegenüber der allgemeinen Regelung des § 7 Abs 2 leg cit zu sehen sind.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 87

Umsatzsteuer

Steuerfreiheit der Verwaltung von Sondervermögen in Form einer ausgelagerten elektronischen Leistungserbringung (Folgeerkenntnis nach EuGH vom 17.6.2021, Rs C-59/20, DBKAG)

  • Art. 135 Abs. 1 Buchstabe g RL 2006/112/EG, § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994
  • BFG vom 10.02.2022, RV/5100456/2015 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Wenn die Einräumung eines Nutzungsrechtes an einer individualisierten, in der erbrachten Form nur beim Leistungsempfänger nutzbaren Software, die ausschließlich der Durchführung von für das Risikomanagement und die Performancemessung wesentlichen Berechnungen dient, beim konkreten Leistungsempfänger ausschließlich für die Zwecke der Verwaltung von Sondervermögen erbracht wird, fallen diese ausgelagerten und auf elektronischem Weg erbrachten Verwaltungsleistungen unter die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994. Dies gilt auch, wenn die Leistung nicht vollständig ausgelagert ist.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 38 und BFGjournal 2022, 42

Steuerfreiheit ausgelagerter Leistungen zur Verwaltung von Sondervermögen, die der Sicherstellung der Besteuerung der Fondseinkünfte der Anteilinhaber dienen

  • Art. 135 Abs. 1 Buchstabe g RL 2006/112/EG, § 6 Abs. 1 Z 8 lit. i UStG 1994
  • BFG vom 14.02.2022, RV/5100221/2016 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

An einen Dritten ausgelagerte steuerliche Arbeiten, die die Besteuerung der Fondseinkünfte der Anteilinhaber gemäß dem nationalen Recht der Anteilinhaber sicherstellen, fallen unter die in § 6 Abs. 1 Zi 8 lit. i UStG 1994 vorgesehene Steuerbefreiung, wenn diese nationalen Bestimmungen nur für die Verwaltung von begünstigtem Sondervermögen und in dieser Form nicht auch für andere Anlageformen gelten. Eine vollständige Auslagerung ist dabei nicht erforderlich. Bei der Ermittlung der steuerrelevanten Werte auf der Basis der Daten der Depotbank und der letztlich durch die KAG/Verwges erfolgte Meldung der Daten an die Meldestelle sah der EuGH die geforderte Eigenständigkeit als gegeben.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 38 und BFGjournal 2022, 42

1. Liebhaberei oder Einkunftsquelle eines Appartements einer Hotelanlage nach § 1 Abs. 2 LVO?
2. Änderung der Bewirtschaftung durch
a. markante Verminderung des Zinssatzes bzw.
b. Aufnahme der Bewerbung (über diverse Internetplattformen) durch die Bf.?

  • § 1 Abs. 2 Z 3 Liebhabereiverordnung, § 483 ABGB, § 28 Abs. 5 Z 4 UStG 1994, § 3 Abs. 2 Liebhabereiverordnung, § 2 Abs. 4 Liebhabereiverordnung
  • BFG vom 25.05.2021, RV/4100442/2017 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Ist bei der Vermietung eines Appartements in einer Hotelanlage die Erzielung eines Gesamt-Einnahmenüberschusses unter den Bedingungen zu Beginn der Vermietung - Fremdfinanzierung zur Gänze, Zinssatz 2,75% über 35 Jahre, Vermietung mittels Auftragsvertrag nur über die Hotelanlage - nicht möglich, ist die Betätigung eine steuerlich unbeachtliche Liebhaberei. Die im 4. Jahr mit der Bank vereinbarte Verminderung des Zinssatzes um rd. 64%, also 1,5%, geringfügige Erhöhung der monatlichen Rückzahlungsrate und Verkürzung der Laufzeit um ca. 3,5 Jahre, sowie die Vermietung auch in Eigeninitiative durch die Bf. (über diverse Plattformen) sind als grundlegende Änderungen in der Bewirtschaftung zu betrachten.

Mining von Kryptowährungen als steuerbefreite Leistung nach § 6 Abs 1 Z 9 lit d sublit aa UStG

  • § 6 Abs. 1 Z 9 lit. d UStG 1994, § 6 Abs. 1 Z 8 lit. d UStG 1994
  • BFG vom 20.08.2021, RV/5100226/2021 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/15/0005.

Rechtssatz 1: Das Schürfen (Mining) von Kryptowährungen (zB von Bitcoins) stellt zwar eine unternehmerische Tätigkeit dar, ist aber keine wirtschaftliche Tätigkeit, weil die Glücksspielkomponente überwiegt. Bei der Miningtätigkeit handelt es sich um eine irrationale Erwartung hinsichtlich des zu erwartenden Erfolges, weil dessen Wahrscheinlichkeit mit einer Lotterie vergleichbar ist. Es liegt daher ein unecht steuerbefreiter Umsatz nach § 6 Abs 1 Z 9 lit d sublit aa UStG vor, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Rechtssatz 2: Der Umtausch geschürfter Kryptowährung in andere Kryptowährungen ist analog der EuGH-Entscheidung Hedqvist (C-264/14) als unecht steuerbefreiter Umsatz nach § 6 Abs 1 Z 8 lit b UStG aufzufassen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2021, 325

BgA (Betrieb gewerblicher Art) von KöR (Körperschaft öffentlichen Rechts): Umsatzsteuerliche Reihenleistung

  • § 2 Abs. 3 UStG 1994
  • BFG vom 31.08.2021, RV/7103059/2017 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/13/0006.

Nach dem Konzept der umsatzsteuerlichen Reihenleistung kann nach Beurteilung durch das Bundesfinanzgericht auch dann von der Begründung eines BgA ausgegangen werden, wenn Aufgaben, deren Erfüllung bei eigener Wahrnehmung durch die KöR einen BgA begründen würde, einem anderen Rechtsträger übertragen werden, die Aufgabenwahrnehmung als solche jedoch weiterhin bei der KöR verbleibt und lediglich die technische Durchführung einem Dritten übertragen wird. Es ist dabei davon auszugehen, dass der Dritte an den BgA der KöR leistet und der BgA seinerseits die Leistungen an die Empfänger (Kunden) erbringt. Die von den Leistungsempfängern entrichteten Entgelte sind dabei, auch wenn sie an den Dritten entrichtet wurden, der KöR zuzurechnen. Bei der KöR ist dabei letztlich von einer unternehmerischen Tätigkeit auszugehen, was zu einer generellen Vorsteuerabzugsberechtigung führt.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2021, 321 und BFGjournal 2021, 334

Berechnung der Kammerumlage 1 bei Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft

  • § 126 Abs. 2 WKG, § 2 Abs. 2 UStG 1994, § 2 WKG, § 122 WKG
  • BFG vom 07.12.2021, RV/5101735/2016 (Abweisung; Revision zugelassen)

§ 122 WKG unterscheidet zwischen Berechnung und Erhebung der Kammerumlage 1. Bei umsatzsteuerlichen Organschaften ist die Kammerumlage zwar für alle Gesellschaften des Organkreises vom Organträger zu entrichten. Die Berechnung hat aber für jede Gesellschaft des Organkreises gesondert zu erfolgen. Eine Berechnung der Kammerumlage 1 für die gesamte Organschaft als ein umsatzsteuerlicher Unternehmer findet im Wirtschaftskammergesetz keine Deckung.

Wissen-Müssen von einem Umsatzsteuerbetrug in der Lieferkette

  • Art. 7 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 01.03.2022, RV/3100529/2007 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Bei mehrjähriger Geschäftsbeziehung und Angabe eines nachvollziehbaren Grundes für die Zwischenschaltung eines Unternehmens sind zusätzliche Anhaltspunkte notwendig, um ein Wissen-Müssen, dass ein Umsatzsteuerbetrug vorliegt, feststellen zu können. Es obliegt der Abgabenbehörde, die mangelnde Gutgläubigkeit nachzuweisen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 91

Wenn der Lieferer bei einem B2C Geschäft sämtliche Einfuhrabgaben übernimmt und den Empfänger schadlos hält, gilt er als Einführender zum freien Verkehr

  • § 3 Abs. 9 UStG 1994, Art. 3 Abs. 3 UStG 1994, § 21 BAO
  • BFG vom 08.09.2021, RV/2100071/2020 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/15/0009.

wie RV/2100006/2020

Der Lieferer und die von ihm beauftragte Post handeln nicht für Rechnung der Empfänger, wenn die zollrechtliche Abwicklung unabhängig von der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer durch die Übernahme aller etwaig anfallenden Steuern und sonstiger Kosten durch den Lieferer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt für die Empfänger wirtschaftliche Auswirkungen haben konnte (siehe BFH Urteil vom 29.01.2015, V R 5/14 und BFH Urteil vom 16.06.2021, XI R 17/13). Eine Bevollmächtigung des Lieferers zur Vornahme der Einfuhr für den Empfänger ist infolge der Übernahme der Einfuhrabgaben durch den Lieferer wirkungslos. Die Einfuhr in den freien Verkehr erfolgt danach durch den Lieferer selbst, weshalb Art. 3 Abs. 3 UStG 1994 zur Anwendung kommt.

Verfahrensrecht

Haftung (§ 9 BAO): Unzulässigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers für Kapitalertragsteuer, wenn diesem die Kapitalertragsteuer als Empfänger der Kapitalerträge vorgeschrieben werden kann

  • § 9 Abs. 1 BAO, § 95 Abs. 4 EStG 1988
  • BFG vom 15.12.2021, RV/2100734/2021 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Sie darf nur dann geltend gemacht werden, wenn der Ausfall nicht nur beim Erstschuldner, sondern auch bei mit ihm verbundenen Gesamtschuldnern sowie bei außerhalb des § 9 BAO Haftenden eindeutig feststeht (vgl. VwGH 10.09.2020, Ra 2020/13/0048, unter Verweis auf Ritz, BAO6, § 9 Tz. 4 und 7).

Mangelnde Befugnis zur Erhebung einer Beschwerde bzw. eines Vorlageantrages

  • § 264 Abs. 2 BAO, § 85 Abs. 2 BAO, § 246 BAO
  • BFG vom 10.12.2021, RV/7400063/2021 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Die Benennung von "Wohnungseigentümern laut Grundbuchsauszug" als Rechtsmittelwerber geht ins Leere, wenn der Rechtsmittelschrift kein Grundbuchauszug beiliegt, denn rechtsmittelwerbende Parteien sind im Rechtsmittel namentlich zu benennen. Nur ein der Rechtsmittelschrift beigelegter Grundbuchauszug böte die Möglichkeit, zu dessen bestimmtem Stand (Abfragezeitpunkt) die in der Rechtsmittelschrift gemeinten Wohnungseigentümer zu ermitteln. Ein diesbezüglicher Mängelbehebungsauftrag gemäß § 85 Abs. 2 BAO ist nicht vorgesehen, schon weil § 250 Abs. 1 BAO die Parteibezeichnung nicht als geforderte inhaltliche Angabe enthält.

1. Anzahlung für einen Liegenschaftserwerb oder willkürliche Zahlung?
2. Amtssignatur

  • § 96 BAO, § 4 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 14.12.2021, RV/4100297/2021 (Abweisung; Revision zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.

Ob die Amtssignatur auf einer Ausfertigung eines Bescheides, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt wurde, allenfalls fehlerhaft gewesen sein könnte, ist für die Wirksamkeit eines Bescheides ohne Bedeutung (§ 96 BAO idF vor BGBl I 2019/103).

Wiederaufnahme auf Antrag

  • § 303 Abs. 1 lit. a BAO
  • BFG vom 19.01.2022, RV/7102778/2017 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Ob eine Tatsache bzw. ein Beweismittel „neu hervorgekommen“ ist, ist bei der Wiederaufnahme auf Antrag aus der Perspektive des Antragstellers zu beurteilen. Umstände, die ihm bekannt waren und im seinerzeitigen Verfahren nicht geltend gemacht wurden, sei es, dass sie der Behörde nicht bekannt gegeben wurden oder dass sie von der Behörde trotz Bekanntgabe nicht berücksichtigt wurden und ein Rechtsmittel dagegen unterlassen wurde, bilden keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund.

Ermessensübung iZm Wiederaufnahme eines Umsatzsteuerverfahrens

  • § 303 Abs. 4 BAO, § 20 BAO,
  • BFG vom 04.02.2022, RV/7102983/2021 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Die Neutralität der Umsatzsteuer kann – insbesondere auch vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verwaltungsökonomie – nicht so weit gehen, dass von der belangten Behörde eine steuersubjektübergreifende Betrachtungsweise anzustellen wäre. Dies schon allein aus dem Größenschluss, dass die Geringfügigkeit anhand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmegründe und nicht auf Grund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen ist, die infolge Änderungen aufgrund anderer rechtlicher Beurteilungen im Sachbescheid (des konkret betreffenden Steuersubjektes) vorzunehmen wären (vgl die Umsatzsteuer betreffend VwGH 30. Juni 2021, Ra 2019/15/0125). Dass die Umsatzsteuer somit eine Ausnahme des Abstellens auf ein konkretes Steuersubjekt darstellen soll, ist weder dem Gesetz noch der zahlreichen in Zusammenhang mit der Wiederaufnahme von Umsatzsteuerverfahren ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu entnehmen (vgl etwa VwGH 24. April 2014, 2010/15/0159, VwGH 10. Februar 2016, 2013/15/0087 und VwGH 30. Juni 2021, Ra 2019/15/0125). Eine solche vom Beschwerdeführer vertretene Rechtsanschauung würde vielmehr zu einer Verzerrung, Unkontrollierbarkeit und Missbrauchsanfälligkeit des bestehenden Systems der Neutralität der Mehrwertsteuer in der Unternehmerkette führen, weil ein allenfalls geschaffener Mehrwert praktisch nicht mehr nachvollzogen werden könnte.

Rechtssatz 2: Der Beschwerdeführer übersieht dabei, dass die Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens nicht auf den finanziellen Schaden abstellt, der dem Abgabengläubiger allenfalls bei Gesamtbetrachtung mehrerer Steuersubjekte entstanden ist. Vielmehr dient die Wiederaufnahme des Verfahrens grundsätzlich dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und darf nur ausnahmsweise unterbleiben (vgl EB RV 2007 BlgNR 24. GP 22). Somit ist ausschließlich darauf abzustellen, ob der Beschwerdeführer die in Rede stehende Umsatzsteuerschuld für das Jahr 2015 geschuldet und entrichtet hat.

Rechtssatz 3: Der Beschwerdeführer ist nach § 19 iVm § 1 Abs 1 Z 1 UStG 1994 Steuerschuldner der gegenständlichen mit einem Grundstück in Zusammenhang stehenden sonstigen Leistung, für die er unstrittig die Umsatzsteuer nicht abgeführt hat. Auf den Umstand, dass bei entsprechender Fakturierung der Betrag von der X GmbH als Vorsteuer von deren Steuerschuld abgezogen worden wäre bzw bei nunmehriger Rechnungsberichtigung von der X GmbH abgezogen werden könnte, kommt es für die Frage der Umsatzsteuerschuld des Beschwerdeführers und somit in der Folge die rechtmäßige Ermessensübung nicht an (s auch zur Haftung nach § 9 BAO ergangen VwGH 19. Oktober 2017, Ra 2016/16/0097).

Rechtssatz 4: Zur Zweckmäßigkeit gehört zwar auch die Berücksichtigung der Verwaltungsökonomie (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7 mwN). Es entspricht jedoch nicht der Verwaltungsökonomie die Gefahr der Fristversäumnis eines (außerordentlichen) Rechtsbehelfes in Kauf zu nehmen und auf eine allenfalls vom Beschwerdeführer initiierte Rechnungsberichtigung abzuwarten. Ein solches Vorgehen würde den verfahrensrechtlichen Grundsätzen des Abgabenrechts sowie insbesondere der Gleichmäßigkeit der Besteuerung diametral entgegenstehen.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 104

Rechtzeitigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages

  • § 308 BAO
  • BFG vom 05.01.2022, RV/7102176/2021 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Beachte: Revision eingebracht.

Rechtssatz 1: Die Beförderung des Beschwerdeschriftsatzes vom 7. September 2015 durch die Post erfolgte auf Gefahr des Absenders (vgl VwGH 7. November 1989, 88/14/0223). Die Beweislast für das Einlangen des Schriftstückes bei der Behörde trifft den Absender. Dafür reicht – wie im Beschwerdefall – der Beweis der Postaufgabe nicht aus (vgl VwGH 26. Juli 2017, Ra 2016/13/0039; VwGH 6. Juli 2011, 2008/13/0149).

Rechtssatz 2: Die Beschwerdeführerin hat aktenkundig Beweismittel beigebracht, woraus sich ergibt, dass der Beschwerdeschriftsatz vom 7. September 2015 der Post zur eingeschriebenen Versendung an die belangte Behörde übergeben wurde, wenngleich der Nachweis des Einlangens des Schriftsatzes bei dieser nicht erbracht werden konnte. Aus dem bloßen Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin bzw deren steuerliche Vertretung das Einlangen der Beschwerde nicht durch die belangte Behörde bestätigen haben lassen oder das Einlangen mittels Sendungsverfolgung überprüft haben, kann jedenfalls kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden abgeleitet werden, weil auch ohne eingeschriebene Form der Postaufgabe mit dem Einlangen des Schriftstückes bei der Behörde gerechnet werden kann (vgl VwGH 13. Juli 2015, Ra 2015/02/0050; VwGH 13. Oktober 2009, 2009/17/0154; VwGH 31. Oktober 1991, 90/16/0148).

Rechtssatz 3: Der Wiedereinsetzungsantrag ist nur rechtzeitig, wenn er spätestens drei Monate nach Wegfall des Hindernisses gestellt wurde. Für den Lauf der Frist des § 308 Abs 3 BAO ist ausschließlich auf das Aufhören des Hindernisses bzw auf die spätere Erlangung der Kenntnis der Fristversäumung abzustellen (vgl VwGH 21. Juli 1998, 98/14/0050 und VwGH 19. September 1995, 95/14/0050). Fristrelevant ist dabei jedoch, wann die Partei die Fristversäumung erkennen konnte und musste. Für den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist kommt es somit auf den Zeitpunkt der zumutbaren Erkennbarkeit des Irrtums an (vgl etwa VwGH 26. Juni 2018, Ra 2018/16/0014; VwGH 24. Juni 2010, 2010/15/0001; VwGH 16.3.2005, 2003/14/0005 sowie auch Ritz, BAO6, § 308 Tz 22). Im Beschwerdefall ist daher maßgebend, zu welchem Zeitpunkt der steuerlich vertretenen Beschwerdeführerin bei Anwendung pflichtgemäßer Aufmerksamkeit die Erkennbarkeit des Hindernisses des Nichteinlangens des Beschwerdeschriftsatzes vom 7. September 2015 bei der belangten Behörde zuzumuten war (vgl VwGH 2. Mai 2016, Ra 2016/16/0027).

Wirkungen einer Beschwerde gegen die Abweisung eines Aussetzungsantrages

  • § 85 Abs. 1 BAO, § 212a Abs. 4 BAO
  • BFG vom 21.02.2022, RV/5101013/2021 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

§ 212a Abs. 4 BAO bestimmt, dass die für Anträge auf Aussetzung der Einhebung geltenden Vorschriften auf Bescheidbeschwerden gegen die Abweisung derartiger Anträge und auf solche Beschwerden betreffende Vorlageanträge (§ 264) sinngemäß anzuwenden sind. Die Beschwerde gegen die Abweisung eines Aussetzungsantrages ist so zu sehen, als würde ein Aussetzungsantrag eingebracht (vgl. Stoll, BAO, 2262, zur analogen Bestimmung des § 212 Abs. 4 BAO) bzw. kommt der Beschwerde die Wirkung eines neuerlichen Aussetzungsantrages zu (vgl. die EB zur RV zum 2. AbgÄG 1987, mit dem die Bestimmung des § 212a BAO eingeführt wurde: NR GP XVII, RV 108, Seite 43). Die Beschwerde ist aber nicht zusätzlich auch noch als neuerlicher Aussetzungsantrag zu werten, über den gesondert abzusprechen wäre.

Ermessensübung bei der Heranziehung beider Geschäftsführer einer GmbH zur Haftung für Lohnsteuer

  • § 20 BAO, § 9 Abs. 1 BAO, § 7 Abs. 1 BAO, § 80 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 01.03.2022, RV/5101159/2019 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zu § 9 BAO die Ansicht, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Haftungsschuldners im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung keine Bedeutung zukommt. Der Verwaltungsgerichtshof unterscheidet damit zu Recht zwischen der Billigkeit bei der Geltendmachung der Haftung und der Billigkeit (persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit) bei der nachfolgenden Einhebung der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen. Die Geltendmachung der Haftung ist zwar eine Einhebungsmaßnahme (Ritz, BAO7, § 224 Tz 4), diese Einhebungsmaßnahme bezieht sich aber auf die Einhebung der Abgaben der Primärschuldnerin. Gegenüber dem Haftungsschuldner ist die Heranziehung zur Haftung noch keine Einhebungsmaßnahme, sondern eine Maßnahme, der Festsetzungscharakter zukommt. Gemäß § 7 Abs. 1 BAO wird er erst durch die Geltendmachung der Haftung zum Gesamtschuldner. Daran schließt sich das eigenständige Einhebungsverfahren der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen an. Daraus folgt, dass eine Unbilligkeit im Zuge der Geltendmachung der Haftung nur insofern Berücksichtigung finden kann, als sie nicht in der Einhebung der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen liegt (diese wäre erst in einem allfälligen Verfahren gemäß § 237 BAO zu prüfen), sondern in der (vollen) Heranziehung zur Haftung läge.

Rechtssatz 2: Gemäß § 7 Abs. 1 BAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs. 1) zu Gesamtschuldnern. Es liegt dabei im Ermessen der Behörde, ob sie das Leistungsgebot an einen der Gesamtschuldner, an welchen der Gesamtschuldner, an mehrere oder an alle Gesamtschuldner richten will (vgl. Ritz, BAO7, § 6 Tz 7). Da im vorliegenden Fall beide Geschäftsführer für die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Agenden verantwortlich waren, war auch die Heranziehung beider zur Haftung sachgerecht. Darüber hinaus dient die Geltendmachung der Haftung gegenüber mehreren potenziell Haftungspflichtigen auch der Steigerung des zu erwartenden Einbringungserfolges dieser Maßnahme.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2022, 101

Landes- und Gemeindeabgaben, Verwaltungsstrafangelegenheiten

Ausgleichsabgabe nach dem Wiener Garagengesetz 2008

  • § 48 Abs. 1 WGarG 2008, § 54 WGarG 2008, § 4 Abs. 1 BAO, § 55 WGarG 2008
  • BFG vom 18.11.2021, RV/7400149/2020 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Das Verwaltungsgericht hat im Allgemeinen seiner Entscheidung grundsätzlich die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen. Allerdings ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Abgabenanspruch entstanden ist, von jener Sach- und Rechtslage auszugehen, die zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Abgabentatbestandes gegeben war.

Rechtssatz 2: Gemäß § 55 WGarG 2008 ist die Abgabenbehörde an eine (auch noch nicht rechtskräftige) Feststellung der Baubehörde, um wie viel die Zahl der vorgesehenen Stellplätze hinter dem gesetzlich geforderten Ausmaß zurückbleibt, gebunden. Es ist im Verfahren betreffend den Ausgleichsabgabebescheid nicht zu prüfen, ob eine Stellplatzverpflichtung besteht. Diese Prüfung ist im Bauverfahren vorzunehmen.

Rechtssatz 3: Für die Vorschreibung der Ausgleichsabgabe für nichtgeschaffene Stellplätze hat hinsichtlich der Frage der Stellplatzverpflichtung die Rechtslage, wie sie im Zeitpunkt der Baubewilligung bestanden hat, zur Anwendung zu kommen.

Ein Anbringen, welches keine Beschwerde ist, kann nicht nachträglich telefonisch in eine Beschwerde umgewandelt werden

  • Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, § 13 Abs. 1 AVG
  • BFG vom 26.01.2022, RV/7500611/2021 (Einstellung; Revision nicht zugelassen)

Gemäß § 13 Abs. 1 AVG sind Rechtsmittel schriftlich einzubringen. Daher kann ein (schriftliches) Anbringen, welches keine (Bescheid)Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG darstellt, nicht nachträglich durch ein telefonisches Vorbringen in eine Beschwerde umgewandelt werden.

Keine Entscheidung über ein als vermeintliche Beschwerde vorgelegtes Anbringen, welches nicht als Beschwerde bezeichnet wird und in welchem nichts vorgebracht wird, was dem anfechtenden Charakter einer Beschwerde entspräche

  • Art. 130 Abs. 1 B-VG, § 34 Abs. 1 VwGVG
  • BFG vom 24.01.2022, RV/7500022/2022 (Einstellung; Revision nicht zugelassen)

Ein Anbringen, das nicht als Beschwerde bezeichnet ist, das auf keine konkrete behördliche Erledigung bezogen ist und das auch inhaltlich nichts anficht (d.h. als rechtswidrig oder zumindest falsch bezeichnet), kann trotz seiner Vorlage als (vermeintliche) Beschwerde durch den Magistrat der Stadt Wien vom BFG nicht als Beschwerde behandelt werden. Das BFG trifft keine Entscheidungspflicht gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG über dieses Anbringen. Indem das BFG dies beschlussmäßig zum Ausdruck bringt, ist das diesbezügliche Verfahren des BFG als beendet (eingestellt) anzusehen.

Zusatztext: Die hier geäußerte "Bitte um Nachsicht" war als Wunsch zu erkennen, dass auf die Einhebung des offenen (Rest)Betrages verzichtet mögen werde. Dies wäre zwar theoretisch nach § 187 FinStrG bzw. nach § 236 BAO möglich, nicht aber bei einer Strafe nach VStG.

Zoll

Beförderung von Mineralöl unter Steueraussetzung

  • Art. 17 Abs. 1 Buchstabe a RL 2008/118/EG, Art. 20 Abs. 2 RL 2008/118/EG, § 31 Abs. 1 Z 1 MinStG 1995, § 32 Abs. 1 MinStG 1995, § 31 Abs. 3 MinStG 1995, Art. 4 Abs. 1 Nr. 9 RL 2008/118/EG
  • BFG vom 04.08.2021, RV/7200020/2019 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Bei Beförderungen von Mineralöl unter Steueraussetzung an registrierte Empfänger stellen die einschlägigen unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften für die Beendigung des Verfahrens ausschließlich darauf ab, ob das Mineralöl vom berechtigten Empfänger übernommen wird, und nicht, an welchem Ort das Mineralöl übernommen wird.

Keine Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer, wenn Zollanmelder die Sorgfaltspflicht verletzt hat

  • § 83 ZollR-DG
  • BFG vom 09.08.2021, RV/5200037/2017 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Im Erstattungsverfahren des Anmelders nach Inanspruchnahme als Gesamtschuldner nach § 71a ZollR-DG ist nach der Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0037, mwN).

Zollschuldentstehung wegen unzulässiger Abgabe einer konkludenten Zollanmeldung anlässlich der Einfuhr eines unverzollten Beförderungsmittels

  • Art. 79 UZK, VO 952/2013
  • BFG vom 06.09.2021, RV/7200058/2021 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Die Abgabe einer konkludenten Zollanmeldung gem. Art. 141 UZK-DA ist u.a. dann zulässig, wenn sie sich auf ein Beförderungsmittel bezieht, das als Rückware gem. Art. 138 Buchstabe c UZK-DA von den Einfuhrabgaben befreit ist. Erfolgt eine solche Willensäußerung ohne Erfüllung der Voraussetzungen für die genannte Abgabenbefreiung, so gilt die Zollanmeldung für dieses Beförderungsmittel als nicht abgegeben. Auf das Vorliegen subjektiver Tatbestandsmerkmale kommt es dabei nicht an. Die Zollschuld entsteht in den angesprochenen Fällen somit selbst dann, wenn dem Verbringer die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen im Detail nicht bekannt sind.

Geschäftsführerhaftung bei zu Unrecht erfolgter Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 (Einfuhr und anschließende innergemeinschaftliche Lieferung)

  • § 9 BAO, § 80 BAO
  • BFG vom 05.10.2021, RV/5200001/2019 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Beachte: Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/16/0002.

Die Heranziehung einer Person zur Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO für Abgaben eines Zeitpunktes, zu dem die betroffene Person die Vertreterstellung im Sinne des § 80 BAO nicht mehr hatte, ist rechtswidrig (VwGH 22.2.1993, 91/15/0123 und VwGH 2.8.1995, 93/13/0056).