BFG-Newsletter 2017/02

Einkommensteuer

Höhe des Unterhaltsabsetzbetrages, Reihung der Kinder

  • § 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988
  • BFG vom 09.06.2017, RV/7100102/2017 (teilweise Stattgabe; Revision zugelassen)

1. Die Gewährung des Unterhaltsabsetzbetrages ist an die tatsächliche Leistung des Unterhalts geknüpft.
2. Die Anzahl der Monate ergibt sich aus der Erfüllung des Unterhaltspflichten im Entscheidungszeitpunkt des Bundesfinanzgerichtes.
3. Die Reihung der Kinder hinsichtlich der Staffelung der Absetzbeträge hat zu erfolgen, inwieweit der Unterhaltsverpflichtete seiner Verpflichtung für das jeweilige Kind nachgekommen ist. Das "erste" alimentierte Kind im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 ist jenes, für welches der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltsverpflichtung im höchsten Ausmaß erfüllt hat, das "zweite" alimentierte Kind jenes, für das die Unterhaltsverpflichtung im zweithöchsten Ausmaß erfüllt wurde, das "dritte" alimentierte Kind jenes, für das die Unterhaltsverpflichtung im dritthöchsten Ausmaß erfüllt wurde.

Private Grundstücksveräußerungen: Keine Einrechnung der Zeiten der Nutzung einer Eigentumswohnung als Bestandnehmer in die Frist für die Hauptwohnsitzbefreiung

  • § 18 Abs. 1 Z 3 EStG 1988, § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988
  • BFG vom 08.06.2017, RV/5100561/2017 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Durch die Anknüpfung des § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 an den Begriff der Eigentumswohnung iSd § 18 Abs. 1 Z 3 lit b EStG 1988 stellt die Hauptwohnsitzbefreiung iZm privaten Grundstücksverkäufen auf das Vorliegen einer Eigentumswohnung nach § 2 Abs. 2 WEG 2002 ab. Nach der Judikatur liegt eine Eigentumswohnung iSd § 18 Abs. 1 Z 3 lit b EStG 1988 nur dann vor, wenn das Gebäude im Eigentum oder Miteigentum des Errichters bzw. Erwerbers steht. Das außerbücherliche Eigentum muss zumindest über­gegangen oder der Vertrag über die Einräumung des Wohnungseigentums abgeschlossen sein (VwGH 24.6.1999, 94/15/0213).
Wenn aber das Eigentum am Grundstück ein zwingender Definitionsbestandteil einer Eigentumswohnung ist, ist dies auch für die Hauptwohnsitzbefreiung iZm privaten Grundstücksveräußerungen erforderlich. Während beim Sonderausgabenabzug das Eigentum des Errichters bzw. Erwerbers relevant ist, stellt im Bereich der privaten Grundstücksbefreiungen die Hauptwohnsitzbefreiung auf den Veräußerer ab, womit für die Inanspruchnahme des Befreiungstatbestandes dessen Eigentum am veräußerten Grundstück (der Eigentumswohnung) vorliegen muss. Ein bloß durch einen Bestandvertrag begründeter Hauptwohnsitz vermag somit – selbst bei grundsätzlichem Vorliegen der Fristen gemäß § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 – mangels Eigentümerstellung eine Hauptwohnsitzbefreiung nicht zu begründen.

Umsatzsteuer

1. Keine widerrechtliche Verwendung bei monatlichen Ausbringungen  
2. Innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Fahrzeuges bei zunächst beabsichtigtem Standort des Fahrzeuges im Inland und ungewisser Verwendung in der Folge

  • Art. 1 UStG 1994 – Anhang (Binnenmarkt)
  • BFG vom 20.06.2017, RV/5100333/2015 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Wenn im Zeitpunkt der Lieferung die Absicht des Erwerbers feststeht, das erworbene neue Fahrzeug zu seinem Familienwohnsitz nach Österreich zu verbringen und von dort aus zu verwenden, ist als Standort des Fahrzeuges iSe "Verbrauchsortes" der Familienwohnsitz im Inland anzunehmen. Eine im Erwerbszeitpunkt ungewisse Verwendung in weiterer Folge ändert daran nichts. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die dann tatsächlich im Inland erfolgte Verwendung als Indiz für die schon beim Erwerb vorhandene Verwendungsabsicht herangezogen werden kann.

Keine Leistungseinheit bei Eintrittsberechtigungen in Österreich und steuerfreien grenzüberschreitenden Flusskreuzfahrten

  • § 6 Abs. 1 Z 3 lit. d UStG 1994, § 3a Abs. 11a UStG 1994, § 3a Abs. 4 UStG 1994
  • BFG vom 25.04.2017, RV/2100445/2016 (Abweisung; Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Führt ein im Gemeinschaftsgebiet ansässiges Unternehmen echt steuerfreie grenzüberschreitende Flusskreuzfahrten an Unternehmer aus, dann stellt die Besorgung von Eintrittsberechtigungen in Österreich im Zusammenhang mit Landausflügen keine einheitliche Leistung dar. Verschiedene Reiseleistungen an Unternehmer fallen nicht unter § 23 UStG 1994 alte Fassung. Jede Leistung ist umsatzsteuerlich für sich zu beurteilen. 
Die im § 6 Abs. 1 Z 3 lit. d UStG 1994 geregelte echte Steuerfreiheit für grenzüberschreitende Personenbeförderung auf Schiffen stellt einen Gesetzesvorbehalt Österreichs anlässlich des Beitritts zur Union dar. Derartige Vorbehalte, die vom Gemeinschaftsrecht abweichen, dürfen nur sehr eng ausgelegt werden. Eine Ausweitung auf andere Tatbestände wie etwa Eintrittsberechtigungen ist nicht zulässig.

Rechtssatz 2: Die Besorgung von Eintrittsberechtigungen in ein österreichisches Stift oder Schloss stellt steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistungen in Österreich dar. 
Derartige Umsätze in Österreich führen zum Ausschluss der Erstattung von österreichischen Vorsteuern an ausländische Unternehmer.

Vorsteuererstattung aus Reisevorleistungen bei einem Weiterverkauf an einen Unternehmer

  • Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern, BGBl. Nr. 279/1995;     
    § 3a Abs. 6 UStG 1994, § 3a Abs. 11a UStG 1994, § 19 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 07.04.2017, RV/2101546/2015 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Der bloße Weiterverkauf von Reisevorleistungen wie z.B. Beherbergungen, Eintritts- und Schiliftkarten, Personenbeförderungen etc. an einen Unternehmer stellt keine einheitliche Leistung i.S. der allgemeinen Bestimmungen des UStG 1994, sondern einen Verkauf von Einzelleistungen dar. Die Sondervorschriften des § 23 UStG 1994, wonach eine einheitliche (Reise-)Leistung anzunehmen ist, sind nicht anwendbar. Eine ausdrückliche Berufung auf das Unionsrecht (Rs. EuGH 26.9.2013, C-189/11, Kommission gegen Spanien) ist infolge des anzuwendenden Vorsteuerausschlusses nicht erfolgt.

Beachte: Revision eingebracht.

Innergemeinschaftlicher Erwerb und Reihenlieferung

  • § 3 Abs. 8 UStG 1994, Art. 3 Abs. 8 UStG 1994, Art. 6 Abs. 1 UStG 1994, Art. 7 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 11.05.2017, RV/2101813/2014 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Wird bei einem Reihengeschäft von Mitgliedstaat 1 nach Mitgliedstaat 3 der Liefervorgang lediglich zur Neutralisierung der Ware (wie Entfernung des Absenders) im Mitgliedstaat 2 unterbrochen und dann der Transport an den bereits bestimmten Abnehmer im Mitgliedstaat 3 fortgesetzt, liegt eine einheitliche Lieferung (in mehreren Teilabschnitten) vor.
Der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs nach Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 liegt dabei im Mitgliedstaat, in welchem die Beförderung endet, und nicht im Mitgliedstaat, in welchem der Zwischenstopp zur Neutrali­sierung der Ware erfolgte.

Rechnungsberichtigung wirkt ex tunc

  • § 11 Abs. 1 UStG 1994, § 12 UStG 1994
  • BFG vom 01.06.2017, RV/2100294/2015 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Folgerechtssatz (wie RV/2100032/2016-RS1): Eine Rechnungsberichtigung ist in jedem Stadium des offenen Verfahrens für Zwecke des Vorsteuerabzugs zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf die Außenprüfung wäre unsachlich. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus den Urteilen des EuGH vom 15.08.2016, Rs. C-516/14 - Barlis 06 und Rs. C-518/14 - Senatex.

Umsatzsteuerpflicht von Beherbergungsleistungen im Rahmen von Pauschalreisen

  • Art. 2 Z 1, Art. 5 Z 1, Art. 6 Z 1, Art. 9 Z 2 lit. a, Art. 9 Z 1, Art. 26 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie;
    § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, § 3 Abs. 1 UStG 1994, § 3a Abs. 1 UStG 1994, § 3a Abs. 6 UStG 1994, § 23 Abs. 1 UStG 1994, § 184 Abs. 1 BAO, § 23 Abs. 9 UStG 1994, § 209 Abs. 3 BAO, § 209a Abs. 1 BAO
  • BFG vom 19.06.2017, RV/1100141/2013 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Führt ein deutsches Reisebüro im Rahmen von Pauschalreisen Beherbergungen in einem von diesem in Österreich gepachteten Gasthof durch, so liegt insoweit eine Eigenleistung des Reisebüros vor, die nach den allgemeinen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes zu beurteilen ist. Der Ort dieser Leistung richtet sich nach dem Ort des Gasthofs, es gelangt der ermäßigte Steuersatz zur Anwendung.

Demontage und Montage einer schweren Maschine in verschiedenen Mitgliedstaaten – einheitliche Leistung?

  • § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, § 3a Abs. 6 UStG 1994, § 3a Abs. 8 lit. c UStG 1994
  • BFG vom 28.02.2017, RV/4100175/2012 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Wird eine Anlage an einem Standort demontiert und an einem anderen Standort wieder montiert, wobei nur derjenige, der die Demontage durchgeführt hat, auch die Montage durchführen kann und wobei die Demontage nur der Durchführung der darauf folgenden Montage dient, so ist die Demontage die unselbstständige Nebenleistung der Montage (vgl. EuGH vom 12.6.1979, Rs 126/78 Nederlandse Spoorwegen; vgl. EuGH 11.1.2001, Rs C-76/99 Kommission/Frankreich; vgl. EuGH vom 15.5.2001, C-34/99 Primback; vgl. VwGH 24.6.2004, 2000/15/0140; vgl. VwGH 30.3.2006, 2002/15/0075).

1. Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung als Antrag auf Regelbesteuerung gemäß 22 Abs. 6 UStG 1994  
2. Einbringung mittels Telefax

  • Art. 296 RL 2006/112/EG, § 86a Abs. 1 BAO, § 293b BAO, § 22 Abs. 6 UStG 1994, § 85 Abs. 1 BAO, § 6 Abs. 3 UStG 1994
  • BFG vom 08.02.2017, RV/5100087/2015 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Eine Erklärung gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 kann auch als Erklärung iSd § 22 Abs. 6 UStG 1994 gewertet werden, muss aber fristgerecht eingebracht werden. Das Fristenrisiko trägt bei Einbringungen mittels Telefax der Einbringer.

Ex-tunc Rechnungsberichtigung vor dem BFG

  • § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, § 11 Abs. 1 UStG 1994, § 11 Abs. 1 Z 3 UStG 1994, § 270 BAO
  • BFG vom 09.05.2017, RV/7102673/2013 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Da gemäß § 270 BAO vor dem Bundesfinanzgericht kein Neuerungsverbot besteht, ist auch vor dem BFG eine Rechnungsberichtigung ex-tunc möglich.

Istbesteuerung einer planenden Baumeister-GmbH

  • § 17 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 27.04.2017, RV/7102827/2016 (Abweisung; Revision zugelassen)

Nach Ansicht des BMF (UStR 2000 Rz 2452) ergibt sich (auch unter Hinweis auf EuGH 16.10.2008,     
Rs C-253/07, Canterbury Hockey Club), dass in unionsrechtskonformer Interpretation auch planende Baumeister, die ihr Unternehmen in Form einer Kapitalgesellschaft führen, die Istbesteuerung iSd § 17 Abs. 1 UStG dann in Anspruch nehmen können, wenn die Gesellschaft ausschließlich eine unmittelbar ziviltechnikerähnliche Tätigkeit ausübt.
Die von der Bf. durchgeführte Bauträgertätigkeit, insbesondere die Vermarktung und Verwertung der von ihr errichteten Gebäude, geht über eine ziviltechnikerähnliche Tätigkeit hinaus. Deshalb erübrigt sich eine weitere Auseinandersetzung damit, ob nicht bereits die aus EuGH 16.10.2008, Rs C-253/07, abgeleitete Interpretation des § 17 Abs .1 UStG durch die UStR zu weit gefasst ist.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2017, 276

Vertreterhaftung für mit Jahresbescheid festgesetzte Umsatzsteuer-Nachforderungen

  • § 7 BAO, § 9 Abs. 1 BAO, § 80 Abs. 1 BAO, § 224 Abs. 1 BAO, § 248 BAO, § 20 BAO, § 78 Abs. 3 EStG 1988, § 21 Abs. 3 UStG 1994, § 21 Abs. 5 UStG 1994, § 15 Abs. 1 AVOG
  • BFG vom 15.03.2017, RV/5100950/2013 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Bei Selbstbemessungsabgaben wie der Umsatzsteuer ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (VwGH 17.8.1998, 98/17/0038); maßgebend ist daher ausschließlich der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit (VwGH 25.10.1996, 93/17/0280). Gemäß der im gegenständlichen Fall zur Anwendung kommenden Bestimmung des § 21 Abs. 5 UStG 1994 wird durch eine Nachforderung auf Grund der Veranlagung keine von Abs. 1 und 3 abweichende Fälligkeit begründet. Das bedeutet, dass nicht der Zeitpunkt der bescheidmäßigen Fest­setzung der Umsatzsteuernachzahlung für die Fälligkeit relevant ist, sondern die entsprechende gesetzliche Bestimmung, die besagt, dass sich im Fall rückständiger Vorauszahlungen der 15. des auf den betreffenden Voranmeldungszeitraum zweitfolgenden Kalendermonates als Fälligkeitstag ergibt.

Kein Vorsteuerabzug, wenn neben einer Gutschrift des Leistungsempfängers eine (mangelhafte) Rechnung ausgestellt und kein Einvernehmen hergestellt wird

  • § 40 BWG, § 11 Abs. 1 UStG 1994, Art. 28 Abs. 2 UStG 1994, Art. 7 Abs. 4 UStG 1994, Art. 7 Abs. 1 UStG 1994, § 12 Abs. 1 Satz 3 UStG 1994, § 11 UStG 1994, § 11 Abs. 8 Z 2 UStG 1994
  • BFG vom 03.02.2017, RV/7101808/2013 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Erstellt der Empfänger einer Leistung eine Gutschrift i.S.d. UStG und erhält er kurz danach vom Leistungserbringer eine (wenn auch mangelhafte) Rechnung, so ist von keinem Einvernehmen zwischen Gutschrifts­aussteller und Leistenden i.S.d. § 11 (8) Z 2 UStG 1994 auszugehen.

Liegen umsatzsteuerlich und ertragsteuerlich mehrere GesBR oder eine einzige GesBR vor?

  • § 188 BAO, § 184 BAO, § 81 Abs. 2 BAO, § 2 UStG 1994, Art. 28 Abs. 1 UStG 1994, § 274 BAO, § 1175 ABGB, § 863 ABGB, § 22 BAO, §§ 21 bis 24 BAO, Art. 267 AEUV, § 22 UStG 1994, § 4 Abs. 1 Z 3 KontRegG, § 2a BAO, § 183 Abs. 2 Satz 2 BAO, § 2 Abs. 1 Z 1 KontRegG, § 2 Abs. 1 Z 3 KontRegG, Art. 28 UStG 1994, § 21 EStG 1988, § 253 BAO, § 85 Abs. 1 BAO, § 85a BAO, § 92 BAO, § 260 Abs. 1 lit. a BAO, § 267 BAO, § 25 Abs. 1 BFGG, § 282 BAO, § 295 Abs. 1 BAO, § 295 Abs. 4 BAO, § 209a Abs. 2 BAO, Art. 133 Abs. 4 B-VG, § 256 Abs. 3 BAO, Art. 10 RL 2006/112/EG, Art. 296 RL 2006/112/EG, § 2 Abs. 3 EStG 1988
  • BFG vom 27.03.2017, RV/7103204/2012 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Rechtssatz 1: Zufolge des Urteiles des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. 10. 2016, C-340/15, ECLI:EU:C:2016:764 liegen im gegenständlichen Fall drei GesBR als mehrwertsteuerpflichtige eigen­ständige Unternehmer vor.
Zusatztext: Da nicht eine "Gesamtgesellschaft", sondern die drei "Einzelgesellschaften" Unternehmer sind, sind die an die vom Finanzamt angenommene "Gesamtgesellschaft" ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheide 2005,2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011 und 2012 gemäß § 279 BAO ersatzlos aufzu­heben.

Rechtssatz 2: Ist die Beschwerdeführerin zufolge des Urteiles des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. 10. 2016, C-340/15, ECLI:EU:C:2016:764 als mehrwertsteuerpflichtige eigenständige Unter­nehmerin anzusehen und liegen die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Umsatzsteueridentifikationsnummer unstrittig vor, ist der Beschwerdeführerin eine Umsatzsteueridentifikationsnummer zu erteilen bzw. die Begrenzung der Umsatzsteueridentifikationsnummer aufzuheben.

Rechtssatz 3: Betrieb ist zusammengefasst eine wirtschaftliche Einheit, die sich aus der Summe aller Wirtschaftsgüter bzw. sachlicher Produktionsmittel und Tätigkeiten bzw. menschlicher Arbeitskraft zusammensetzt, die in einer organisatorisch zusammengefassten Form einem bestimmten erwerbswirtschaftlichen totalgewinnfähigen Zweck im Bereich der Land- und Forstwirtschaft, eines freien Berufes oder einer sonstigen selbständigen Arbeit oder im gewerblichen Bereich dienen. Der Betrieb kann aus verschiedenen relativ selbständigen Untereinheiten (Teilbetrieben) zusammengesetzt sein. Mehrere im äußeren Erscheinungsbild von Betrieben unterhaltene wirtschaftliche Einheiten eines Steuerpflichtigen sind nach objektiven Kriterien i.S.d. Verkehrsauffassung auf eine Betriebseinheit oder -mehrheit zu prüfen.

Rechtssatz 4: Ob mehrere Betätigungen zu einer steuerlichen Einheit zusammenzufassen sind, hängt davon ab, ob die Bindungen zwischen den Betrieben nach objektiv gegebenen Merkmalen (der wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Verflechtung) so eng sind, dass die Betriebe nach der Verkehrsauffassung als eine Einheit anzusehen sind.

Rechtssatz 5: Eine Mitunternehmerschaft muss zwischen den Mitunternehmern ausdrücklich oder schlüssig vertraglich begründet werden. Die Annahme einer rein faktischen Mitunternehmerschaft ohne zumindest einem konkludenten Gemeinschaftsverhältnis ist der Steuerrechtsordnung grundsätzlich fremd. Gegen den erklärten Willen der vermeintlichen Mitunternehmer kommt daher keine Mitunternehmerschaft zustande, es sei denn, die Willenserklärung ist als bloß zum Schein abgegeben anzusehen.

Rechtssatz 6: Auch wenn das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. 10. 2016, C-340/15, ECLI:EU:C:2016:764 zur Umsatzsteuer ergangen ist, hat dieser damit klar ausgesprochen, dass die getrennte Bewirtschaftung eigener oder – ebenfalls getrennt – zugepachteter Weingärten, die Verwendung so gut wie ausschließlich eigener Produktionsmittel der "Einzelgesellschaften", die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer sowie der eigenständige Auftritt gegenüber ihren Lieferanten, gegenüber öffentlichen Stellen und zu einem gewissen Grad gegenüber ihren Kunden davon zeuge, "dass jede dieser Gesellschaften eine Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt". Das Bestehen einer gewissen Zusammenarbeit zwischen solchen Gesellschaften bürgerlichen Rechts und einer Kapital­gesellschaft u. a. hinsichtlich des Vertriebs ihrer Produkte unter einer gemeinsamen Marke reiche nicht aus, um die Eigenständigkeit dieser Gesellschaften bürgerlichen Rechts in Frage zu stellen. Weder die Über­tragung eines Teils ihrer Tätigkeiten auf Dritte noch die bestimmende Rolle eines Mitglieds einer (oder mehrerer) dieser Gesellschaften bei der Vinzifizierung und der Vertretung dieser Gesellschaften stehe dem Vorliegen eigenständiger "Einzelgesellschaften" entgegen. Damit hat der EuGH die maßgebende Verkehrs­auffassung auch in Bezug auf das Vorliegen von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft klar dargelegt.

Rechtssatz 7: Es ist denkunmöglich, dass ein einziger (ertragsteuerlicher) Betrieb sich aus mehreren (umsatzsteuerlichen) Unternehmen zusammensetzt. Steht fest, dass mehrere umsatzsteuerliche Unternehmen vorliegen, dann sind ertragsteuerlich zumindest so viele Betriebe gegeben als Unternehmen bestehen.

Rechtssatz 8: Wurden Bescheide an "[Vorname] [Zuname] und Mitges." oder an alle (vermeintlichen) mit ihrem Namen angeführten Mitgesellschafter erlassen und existieren, wenngleich in anderer Zusammensetzung als von der Behörde angenommen, Mitunternehmerschaften dieser Gesellschafter als Steuersubjekte, ist im Sinne der Rechtssicherheit von einer Wirksamkeit der Bescheide auszugehen. Diese Bescheide können daher Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens sein.

Rechtssatz 9: Mit Einverständnis aller Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann auch über den Anwendungsbereich des § 267 BAO hinausgehend eine einzige Entscheidung des Verwaltungsgerichts als Sammelentscheidung erlassen werden, die allen Parteien zuzustellen ist.

Rechtssatz 10: Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts ist Art. 133 Abs. 4 B-VG dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass in dem Fall, dass eine Rechtsfrage eindeutig und keinen Zweifel offenlassend vom Gerichtshofs der Europäischen Union beantwortet wurde, ab diesem Zeitpunkt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht mehr vorliegt.

Beachte: Amtsrevision eingebracht. Beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2017/13/0012.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2017, 184; siehe auch BFGjournal 2017, 238

Verfahrensrecht

Das Verfahren betreffend eine Maßnahmenbeschwerde wegen einer vorläufigen Beschlagnahme von Glücksspielgeräten ist nach Ergehen des Beschlagnahmebescheides einzustellen

  • § 53 Abs. 2 GSpG, § 52 Abs. 1 GSpG, § 35 VwGVG, § 24 Abs. 2 VwGVG, § 28 Abs. 1 VwGVG, § 31 Abs. 1 VwGVG
  • BFG vom 22.05.2017, RM/2100002/2017 (Einstellung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Eine Beschwerde gegen einen Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der vorläufigen Beschlagnahme von Gegenständen (Spielapparaten) ist einzustellen, wenn der die Beschlagnahme anordnende Bescheid nachfolgend erlassen wird. 
Durch die Bescheiderlassung ist die faktische Amtshandlung als solche rechtlich nicht mehr selbständig existent und daher auch nicht mehr unmittelbar Objekt einer Maßnahmenbeschwerde. 
Das Verfahren ist daher mittels Beschluss einzustellen.

Rechtssatz 2: Folge der Gegenstandslosigkeit einer Maßnahmenbeschwerde ist die Einstellung des Verfahrens. In einem solchen Fall steht kein Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG zu, weil es keine obsiegende Partei gibt.

Beachte: Revision eingebracht.

Ist der Ausschluss von Erledigungsentwürfen von der Akteneinsicht unbedingt?

  • § 90 Abs. 2 BAO
  • BFG vom 15.03.2017, RV/1100662/2016 (Stattgabe; Revision zugelassen)

Im konkreten Fall kann es dahin gestellt bleiben, ob § 90 BAO im Sinne der von der Bf. zitierten Rechtsmeinungen (Ritz, BAO5, § 90 Tz 8; BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 90 Anm 16) eher weit oder im Sinne von Stoll (BAO-Kommentar 897) ein wenig enger auszulegen ist. Denn auch bei etwas engerer Auslegung von § 90 BAO und selbst unter der Annahme, dass es auch einem Amt (insbesondere einer hierarchisch strukturierten, letztlich in Ministerverantwortung geführten Behörde) erlaubt sein soll, vorbereitende Gedanken und Meinungen im Sinne eines Brainstormings frei, ohne Wertung und Prüfung durch die Partei, ohne Pflicht zur Dokumentation bzw. späteren Offenlegung, sowohl horizontal als auch vertikal, auszutauschen, soll § 90 BAO nach Überzeugung des Gerichts zumindest nach Beendigung des Abgabenverfahrens einem Abgabepflichtigen die Möglichkeit bieten, alle bezughabenden Aktenteile einzusehen und im Hinblick auf deren Relevanz (somit auch im Hinblick auf deren Irrelevanz) für ein Amtshaftungsverfahren zu prüfen.

Anmerkungen: Zum Umfang des Rechts auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO gibt es keine höchst­gerichtliche Judikatur, die auf die Novellierung des Art. 20 Abs. 3 B-VG durch BGBl 285/1987 Bezug nimmt. Auch wenn das Gericht die restriktive Auslegung durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht teilt und als überholt erachtet, so vermag sich dieser Standpunkt doch auf höchstgerichtliche Judikatur, ergangen nach der Novellierung von Art. 20 Abs. 3 B-VG (VwGH 25.6.1992, 91/16/0057), auf eine Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS 2.2.2010, RV/1371-L/09), auf Fischerlehner (Abgabenverfahren2 2016) § 90 Anm.3) und nicht zuletzt auf den aktuell gültigen Wortlaut des § 90 Abs. 2 BAO zu berufen. Im Hinblick darauf kann der entschiedenen Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung nicht abgesprochen werden.

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2017/15/0021.

1. Abtransport vorläufig beschlagnahmter Glücksspielgeräte, obwohl vorerst deren Verbleib an Ort und Stelle verfügt worden war, als Teil der vorläufigen Beschlagnahme durch die Finanzpolizei  
2. Einstellung des diesbezüglichen Beschwerdeverfahrens nach Ergehen eines Beschlagnahmebescheides

  • § 53 Abs. 2 GSpG, § 50 Abs. 3 GSpG, § 53 Abs. 4 GSpG, § 60 Abs. 25 Z 2 GSpG
  • BFG vom 28.03.2017, RM/7100034/2015 (Einstellung; Revision nicht zugelassen)

Wird hinsichtlich vorläufig beschlagnahmter Glücksspielgeräte durch die einschreitende Finanzpolizei vorerst verfügt, dass diese an Ort und Stelle belassen werden, dann aber doch noch während der Amtshandlung oder in unmittelbarem Anschluss daran der Abtransport der Geräte zur behördlichen Verwahrung ange­ordnet, wird mit dem Abtransport nicht mehr in Rechte des vormaligen Inhabers der Geräte (vor der vor­läufigen Beschlagnahme) eingegriffen.
Der Vorgang selbst ist noch ein Teil des Handlungsablaufes anlässlich einer vorläufigen Beschlagnahme, weshalb ein diesbezügliches Beschwerdeverfahren nach Ergehen eines Beschlagnahmebescheides (hier: durch die LPD Wien) einzustellen ist.

Sofortige Pflicht zur Einsichts-Freigabe als irreversibler Vollzugsnachteil

  • § 90 BAO, § 30 Abs. 2 VwGG, § 6 Abs. 1 AHG
  • BFG vom 11.05.2017, AW/1100002/2017 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Durch die eingebrachte Revision soll (soweit erkennbar erstmalig) höchstgerichtlich geklärt werden, wieweit das Recht auf Akteneinsicht gem. § 90 BAO im Spannungsfeld zwischen der vom Abgabepflichtigen begehrten Transparenz und der von der Behörde für geboten erachteten Vertraulichkeit im Rahmen der breitbasierten und ergebnisoffenen Entscheidungsfindung reicht. Es ist zutreffend, dass ein sofortiger Vollzug des in Revision gezogenen Erkenntnisses der Antragstellerin einen irreversiblen Nachteil aufbürden würde, während der Nachteil der mitbeteiligten Partei (im Falle einer Bestätigung durch den VwGH) nur in einem zeitlich befristeten Vollzugsaufschub besteht. Aus der Besonderheit des Revisionsgegenstandes ergibt sich sohin, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorliegen.

Säumnisbeschwerde wegen Nichterledigung des Antrages auf Zustellung einer Beschwerdevorentscheidung, bei widersprüchlichen Bescheiden derogiert der jüngere Bescheid den älteren

  • § 284 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 21.04.2017, RS/7100047/2017 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Wenn zwei rechtswirksame Bescheide im Widerspruch stehen, dann derogiert bei Identität der Sache der spätere Bescheid den früher erlassenen (VwGH 22.5.2014, Ro 2014/15/0008; VwGH 18.9.2007, 2007/16/0078).
Da jedoch nicht von der endgültigen Derogation ausgegangen werden kann (VwGH 21.5.2001, 2001/17/0043), lebt im Falle der Aufhebung des rechtswidrig ergangenen späteren Bescheides insoweit der früher erlassene Bescheid wieder auf.

Rechtssatz 2: Ein Antrag auf Zustellung eines unwirksamen Bescheides unterliegt nicht der Entscheidungspflicht, da faktische Amtshandlungen nicht erzwungen werden können (vgl. VwGH 22.6.2001, 2001/13/0146).

Keine Entscheidungspflicht (und damit Säumnis) der Abgabenbehörde bei Antrag auf Gewährung der Akteneinsicht

  • § 90 BAO, § 284 BAO
  • BFG vom 04.05.2017, RS/3100007/2017 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Das Bundesfinanzgericht kann aus dem Titel der Verletzung der Entscheidungspflicht nur dann angerufen werden, wenn eine Behörde mit einer gegenüber der Partei zu erlassenden Sachentscheidung in Verzug geblieben ist. Das Verlangen nach Setzung eines tatsächlichen Vorganges (etwa die Gewährung von Akteneinsicht) für sich genommen löst keine Verpflichtung der Behörde zur Erlassung einer Sachentscheidung aus. Ein tatsächliches Verhalten könnte vom Bundesfinanzgericht in Stattgebung der Säumnisbeschwerde nicht an Stelle der belangten Behörde gesetzt werden (vgl. VwGH 5.9.2012, 2012/15/0166; vgl. auch Fischerlehner, Abgabenverfahren² (2016), § 90 Anm 5).

Säumniszuschlag, Antrag auf Herabsetzung, grobes Verschulden bei verspäteter Zahlung infolge längeren Auslandsaufenthaltes

  • § 217 Abs. 1 BAO, § 217 Abs. 7 BAO
  • BFG vom 02.05.2017, RV/7105504/2016 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Im Falle eines längerfristigen Auslandsaufenthaltes ist auch bei nicht vorhersehbaren Nachforderungen der Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Abgabepflichtige müssen dafür Sorge tragen, dass die Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen, somit auch die rechtzeitige Abgabenentrichtung, trotz Auslandsaufenthaltes gesichert ist.

1. Mitteilung über die Wiederaufnahme einer Einbringung kein Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde nach § 283 BAO: Zurückweisung der Beschwerde  
2. Bindungswirkung eines Einstellungsbeschlusses einer Staatsanwaltschaft

  • § 283 BAO, § 231 Abs. 2 BAO
  • BFG vom 24.03.2017, RM/7100013/2016 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Die Nachricht an einen Abgabepflichtigen mittels Buchungsmitteilung über den Umstand, dass sich eine Abgabenbehörde mittels interner Willensbildung entschlossen hat, hinsichtlich diesen die nach § 231 Abs. 1 BAO ausgesetzt gewesene Einbringung des Abgabenrückstandes für einen bestimmten Teil wiederaufzunehmen (§ 231 Abs. 2 BAO), ist keine ausgeübte unmittelbare abgabenbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des § 283 BAO.

Uneinbringlichkeit einer Gebühr

  • § 201 Abs. 1 BAO, § 20 BAO, § 235 BAO
  • BFG vom 18.05.2017, RV/5100622/2013 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Die Bemessung der Gebühr erfolgt zwar nach den gebührenrechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der von der belangten Behörde behaupteten Entstehung der Abgabe, die Festsetzung erfolgt jedoch auf Grund der derzeitigen Verfahrensrechtslage, welche sich aus § 323 Abs. 37 und 40 BAO ergibt. Im gegenständlichen Fall ist die Uneinbringlichkeit der von der belangten Behörde festgesetzten Gebühr unstrittig. Gegen die Festsetzung der Gebühr spricht, dass die Nachforderung uneinbringlich (iSd § 235 BAO) wäre. Aus der Systematik der Bundesabgabenordnung ergibt sich, dass zwecklose Abgabenfestsetzungen vermieden werden sollten. So sieht etwa § 206 Abs. 1 lit. b BAO vor, dass im Einzelfall nicht durchsetzbare Abgabenforderungen nicht festgesetzt werden sollen. Gleiches ergibt sich auch bei der Anwendung der im Ermessen der Abgabenbehörde stehenden erstmaligen Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben.

Unzuständigkeit des BFG wegen unterlassener Beschwerdevorentscheidung – Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit einer Norm nicht in Beschwerde geltend gemacht

  • § 262 Abs. 2 BAO, § 262 Abs. 1 BAO, § 323 Abs. 42 BAO
  • BFG vom 05.04.2017, RV/7100636/2014 (Einstellung; Revision nicht zugelassen)

Für das Absehen von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung nach § 262 Abs. 3 BAO reicht es nicht, dass in der Beschwerde neben eines Widerspruches zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch eine verfassungswidrige Vorgehensweise des Finanzamtes gerügt wird, da damit keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrundeliegende Norm geltend gemacht werden.

Ausführliche Besprechung mit Praxishinweisen in BFGjournal 2017, 236

Rechtsmittelverfahren: Keine Beschwerdezinsen für strittige (erst mit Rechtsmittel­erledigung) gewährte Abgabengutschriften

  • § 205a Abs. 1 BAO
  • BFG vom 29.05.2017, RV/2100484/2013 (Abweisung; Revision zugelassen)

Es ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, dass er für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens durch das Warten auf die Abgabengutschrift in gleichem Maße wirtschaftlich belastet ist wie ein Abgabepflichtiger, der einen strittigen Abgabenbetrag entrichtet hat. Nicht beipflichten kann das erkennende Gericht jedoch der Meinung des Beschwerdeführers, dass es sich um eine sprachliche Ungenauigkeit im Gesetzestext handle. Denn auch wenn aus den Erläuternden Bemerkungen zum Gesetzestext herauszulesen ist, dass das "ungerechte" einseitige Zinsrisiko des Abgabenpflichtigen durch § 205a BAO habe beseitigt werden sollen und der Abgabenpflichtige nicht durch eine falsche Beurteilung eines Sachverhaltes durch die Abgaben­behörde, der er nur mit einer Berufung entgegentreten kann, finanziell geschädigt werden sollte, so findet diese herauszulesende Intention im Fall des Beschwerdeführers aufgrund des diesbezüglich klaren Wortlauts des Gesetzes ("bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit") ihre Grenze.

Beachte: Revision eingebracht.

Verspäteter Vorlageantrag bei Zustellung durch Hinterlegung und Unkenntnis des Beschwerdeführers darüber

  • § 17 Abs. 1 ZustG, § 17 Abs. 2 ZustG, § 17 Abs. 3 ZustG, § 17 Abs. 4 ZustG, § 264 Abs. 1 BAO, § 97 BAO, § 97 Abs. 1 BAO, § 260 Abs. 1 BAO, § 264 Abs. 4 BAO
  • BFG vom 14.06.2017, RV/3100396/2017 (Zurückweisung; Revision nicht zugelassen)

Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist gemäß § 17 Abs. 4 ZustG auch dann gültig, wenn die im § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde. Die Unkenntnis von einer gesetzmäßigen Zustellung kann allenfalls ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO) sein, die Unwirksamkeit der Zustellung kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden.

Haftung einer proforma Geschäftsführerin für Kommunalabgabe und Dienstgeberbeitrag

  • § 9 BAO, § 80 Abs. 1 BAO
  • BFG vom 26.06.2017, RV/7400024/2017 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Behauptet jemand, im Firmenbuch nur "proforma" als Geschäftsführer eingetragen zu sein, so haftet dieser dennoch nach ständiger Rechtsprechung des VwGH (z.B. VwGH vom 19.3.2015, 2013/16/0166) gem. § 80 Abs. 1 BAO iVm § 9 BAO für alle ihn treffenden abgabenrechtlichen Verpflichtungen.

Beachte: Revision eingebracht.

Zahlungserleichterung: Zum Entscheidungszeitpunkt ist beantragte Frist schon abgelaufen

  • § 212 BAO
  • BFG vom 22.06.2017, RV/7104588/2016 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Wenn der im Zahlungserleichterungsansuchen bzw. in der Berufung oder im Vorlageantrag begehrte letzte Zahlungstermin im Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung (Beschwerde) bereits abgelaufen ist, ist die Berufung (Beschwerde) als gegenstandslos abzuweisen (VwGH 24.5.1985, 85/17/0074), weil die Bewilligung von Zahlungserleichterungen nicht über den beantragten Rahmen, insbesondere über den zeitlichen, hinausgehen darf, da Zahlungserleichterungsbescheide antragsgebundene Verwaltungsakte sind und die Behörde im Falle der Bewilligung von Zahlungserleichterungen ohne Vorliegen eines darauf gerichteten Antrages eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nehmen würde (VwGH 17.12.2002, 2002/17/0273).

Säumniszuschlag bei Rechtsirrtum

  • § 217 Abs. 1 BAO, § 217 Abs. 7 BAO, § 217 Abs. 2 BAO
  • BFG vom 09.06.2017, RV/2100632/2016 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Wenn ein Abgabenpflichtiger ein Fahrzeug als Kleinbus behandelt, obwohl dieses kein kastenförmiges Äußeres hat und sich auch nicht bei der zuständigen Finanzbehörde zur Frage, ob ein Kleinbus vorliegt erkundigt, kann nicht von einer vertretbaren Rechtsansicht ausgegangen werden. 
Säumnisfolgen für Abgabennachforderungen auf Grund eines Rechtsirrtums können nur dann gemäß § 217 Abs. 7 BAO zum Wegfall des Säumniszuschlages führen, wenn eine irrtümliche aber vertretbare Rechtsansicht zur Nachbelastung führt.

Auch Abgabennachforderungen auf Grund eines Sicherheitszuschlages sind haftungs­relevant

  • § 9 BAO, § 80 BAO
  • BFG vom 20.06.2017, RV/2100151/2016 (teilweise Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Kommt es zur rechtskräftigen Festsetzung von Steuernachforderungen auf Grund von Sicherheits­zuschlägen, kann die Geschäftsführerin nicht erfolgreich entgegenhalten, dass die Höhe dieser Abgaben­nachforderungen zum Fälligkeitszeitpunkt noch nicht bekannt gewesen wäre und sie deshalb für deren Entrichtung nicht Vorsorge habe leisten können. 
Abgaben, die auf Schätzungen oder Sicherheitszuschlägen beruhen, sind jedenfalls auch haftungsrelevant.

Betreten eines Grundstückes und Anfertigen von Fotos für Beweiszwecke als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt?

  • § 26 Abs. 2 AuslBG, § 89 Abs. 3 EStG 1988, § 146 BAO, § 7b Abs. 6 AVRAG, § 12 Abs. 1 AVOG, § 144 Abs. 2 BAO
  • BFG vom 09.06.2017, RM/7100007/2016 (Zurückweisung bzw. Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Rechtssatz 1: Wird für Zwecke einer Baustellenkontrolle durch Organe der Finanzpolizei ein Grundstück betreten, ist dies eine Ausübung einer unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt. Der Liegenschaftseigentümer ist zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde berechtigt. Die formal zulässige Beschwerde ist aber in Anbetracht der gesetzlichen Ermächtigung (§§ 26 Abs. 2 AuslBG, § 7b Abs. 6 AVRAG, § 12 Abs. 1 AVOG, § 144 BAO) bei zweckdienlicher und verhältnismäßiger Ausübung des Betretungsrechtes der Beamten als unbegründet abzuweisen.

Rechtssatz 2: Werden im Zuge einer Amtshandlung (bspw. im Zuge einer Baustellenkontrolle durch Organe der Finanzpolizei) zur Dokumentation der am Einsatzort vorgefundenen relevanten Umstände bzw. für Beweiszwecke (§ 46 AVG, § 166 BAO) in den sich anschließenden Verwaltungsverfahren Fotos angefertigt, ohne dass zur Durchsetzung der Aufnahmen etwa Körperkraft eingesetzt oder Gewalt angedroht werden muss, liegt im "schlichten Fotografieren" noch keine Ausübung einer unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt. 
Wird zur Durchsetzung der Aufnahmen Zwang eingesetzt oder angedroht oder auch nur den Betroffenen nach ihrem ausdrücklichen Widerspruch (etwa in mündlicher Form oder auch bereits vorab in Form von Aufschriften auf Hinweistafeln) erklärt, dass sie solches jedenfalls zu erdulden haben, liegt ausgeübte Befehls- und Zwangsgewalt vor. 
Erweist sich die Anfertigung von Fotos zu Beweiszwecken aber als tatsächlich zweckmäßig und verhältnismäßig, liegt auch in der Ausübung der Maßnahme rechtmäßiges Verwaltungshandeln vor.

Urlaub der für steuerrechtliche Angelegenheiten zuständigen Mitarbeiterin ist kein Schuldausschließungsgrund für Wegfall des Säumniszuschlages

  • § 217 Abs. 5 BAO, § 217 Abs. 1 BAO, § 217 Abs. 2 BAO, § 217 Abs. 7 BAO
  • BFG vom 01.06.2017, RV/2100798/2011 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Kommt es infolge des Urlaubes der verantwortlichen Mitarbeiterin zu einer verspäteten Entrichtung einer Abgabenschuld, liegt grobes Verschulden des Unternehmers an der verspäteten Entrichtung vor. 
Für den Fall der Abwesenheit der Mitarbeiterin müssen entsprechende organisatorische Maßnahmen und Vorkehrungen getroffen werden, die die Einhaltung der steuerrechtlichen Pflichten sichern. 
Unterbleiben entsprechende Vorkehrungen und kommt es deshalb in der Folge zur Festsetzung eines Säumniszuschlages, liegt kein Grund zur antragsgemäßen Nichtfestsetzung des Säumniszuschlages im Sinne des § 217 Abs. 7 BAO vor.

Zoll

Angabe von unrichtigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummern in Zollanmeldungen

  • Art. 6 Abs. 3 UStG 1994, Art. 7 Abs. 1 UStG 1994
  • BFG vom 29.05.2017, RV/1200036/2014 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 (BMR) kann nicht allein aus dem Grund versagt werden, dass in der Zollanmeldung eine unrichtige UID-Nr. und/oder kein Hinweis auf den Beförderungsnachweis angegeben worden ist, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung bestehen und feststeht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen nach Art. 7 UStG 1994 für die Befreiung von der Umsatzsteuer der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung erfüllt sind.

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2017/16/0121.

Rechtmäßigkeit einer Abgabenerhöhung gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG nach Aufhebung dieser Bestimmung

  • § 108 Abs. 1 ZollR-DG, Art. 220 Abs. 1 ZK
  • BFG vom 11.05.2017, RV/6200004/2017 (Stattgabe; Revision nicht zugelassen)

Folgerechtssatz (wie RV/1200073/2015-RS1): Das Bundesfinanzgericht hat grundsätzlich auf Grund der zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage zu entscheiden (§ 279 BAO), soweit sich nicht insbesondere aus dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften das Gebot zur Anwendung der zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt maßgebenden Rechtslage ergibt oder ein Sachverhalt zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zugrunde zu legen ist. Im Falle einer Festsetzung einer Abgabenerhöhung (nach dem früheren § 108 Abs. 1 ZollR-DG) hat das Verwaltungs­gericht von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung auszugehen, da der Abgaben­anspruch der Abgabenerhöhung erst mit der Festsetzung entsteht.

Beachte: Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2017/16/0103.

Anspruchszinsen – keine analoge Anwendung auf Altlastenbeiträge

  • § 205 BAO
  • BFG vom 21.02.2017, RV/7200073/2014 (Abweisung; Revision nicht zugelassen)

Folgerechtssatz (wie RV/7200053/2015-RS1): Es war die eindeutige und unzweifelhafte Absicht des Gesetzgebers, mit der Bestimmung des § 205 BAO (Gewährung von Anspruchszinsen) eine speziell auf die Besonderheiten der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugeschnittene Regelung zu schaffen, weshalb mangels Vorliegens einer echten Gesetzeslücke eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf andere Abgaben nicht zulässig ist.